Ein Angriff auf die Integration

Muslimische Migranten fürchten nach London verschärfte Diskriminierung, setzen aber auf eine besonnene Reaktion der Mehrheitsgesellschaft: „Terror hat mit dem Islam nicht das Geringste zu tun“

VON ANDREAS WYPUTTA

Am Tag eins nach den Londoner Terroranschlägen herrscht Trauer und Entsetzen. Muslimische MigrantInnen aus ganz Nord–rhein-Westfalen verurteilen die Gewalt. „Wir sind über die Unmenschlichkeit der Täter und die verheerenden Folgen des Terroranschlags zutiefst entsetzt und bestürzt“, so der Zentralrat der Muslime in Deutschland mit Sitz in Eschweiler: „Niemand kann sich bei Terror und Gewalt auf den Islam berufen.“

Die Bomben seien aber auch „ein Anschlag auf die Integration“, sagt Emine Altay vom Kölner Solidaritätsbund der Migranten aus der Türkei. „Uns erreichen wieder verstärkt Drohungen und Beschimpfungen“, sagt Nadeem Elyas, Vorsitzender des Zentralrats. „Ich hoffe, dass unsere Gesellschaft reif genug ist, um zwischen Muslimen und Terroristen zu unterscheiden.“

Das Klima des Misstrauens, das besonders nach den New Yorker Anschlägen geherrscht habe, dürfe nicht zurückkehren, hofft Seref Demirci, Projektleiter beim Solidaritätsbund. „Das war schlimm“, sagt Demirci: „Jeder Bartträger stand plötzlich als potenzieller Terrorist da.“ Wie Demirci setzt auch der Zentralratsvorsitzende Elyas auf Aufklärung: „Wir müssen Pauschalurteile verhindern.“

Die Politik könnte dabei eine Vorreiterfunktion haben. Statt auf Verdächtigungen müssten Politiker Vertrauen in die Gemeinschaft der muslimischen Migranten zeigen, fordert Elyas: „Wir brauchen einen Schulterschluss der gesamten Gesellschaft. Muslime und Nichtmuslime müssen gemeinsam gegen Gewalt stehen.“ Nach dem 11. September aber habe die Politik die falschen Signale ausgesandt – so habe die Durchsuchung von republikweit über 200 Moscheen alle Muslime unter einen Generalverdacht gestellt. „Wir wurden ständig kontrolliert, besonders bei der Ein- und Ausreise“, klagt auch Demirci. „Viele hatten das Gefühl, sie würden allein deshalb verdächtigt, weil ihre Wurzeln in der Türkei liegen.“ Das gegenseitige Misstrauen habe nur mühsam wieder abgebaut werden können, etwa durch Diskussionen mit Beamten des Bundesgrenzschutzes.

„Ich gehe davon aus, dass zwischen den wenigen radikalen Organisationen und der riesigen Mehrheit der 3,5 Millionen Muslime unterschieden wird“, sagt auch Faruk Sen, Leiter des Zentrums für Türkeistudien in Essen. In Nordrhein-Westfalen lebten nur sehr wenige Islamisten, glaubt Sen – und mit Metin Kaplan, Chef des Kölner „Kalifatsstaats“, sei deren führende Figur bereits ausgewiesen worden.

Der Zentralrat der Muslime setzt jetzt besonders auf Zeichen der Verständigung. „Das können Moscheebesuche bekannter Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft sein“, sagt der Vorsitzende Elyas. Vorbildlich sei das Islamische Zentrum Aachen: Nach dem Freitagsgebet wird es einen Schweigemarsch zum Rathaus geben – um mit einer Mahnwache gegen Gewalt und Terror zu protestieren.