Erotisch interessantes Kind

Als Verharmloser von Pädophilie ist der Bremer Soziologe Rüdiger Lautmann bekannt. Im NDR empfiehlt er, die Medien sollten Sex zwischen Erwachsenen und Kindern nicht so „dramatisieren“

von Eiken Bruhn

In Fachkreisen ist der Bremer Soziologe Rüdiger Lautmann als Verharmloser von Pädophilie bekannt, der mit seinem Buch „Die Lust am Kind“ die Rechtfertigung dafür liefert, Kinder sexuell zu missbrauchen. Für den NDR hingegen ist er ein Experte, der sich in der Radiosendung „Redezeit“ mit seinem Fachwissen und Positionen „einbringt“, wie Marianne Scheuerl, Leiterin der Programmgruppe Gesellschaft und Bildung, sich in einem Schreiben ausdrückt.

Aktuell eingebracht hat sich Lautmann am Mittwoch vergangener Woche in einem NDR-Livegespräch über Sexualstraftäter. Auf die Aussage eines Anrufers, sexueller Missbrauch sei immer „Mord an Kinderseelen“, auch wenn das Kind am Leben gelassen werde, rief Lautmann spontan aus: „Das stimmt nicht.“ Ein Einwurf, an dem zunächst nichts auszusetzen gibt. Wäre da nicht die merkwürdige Begründung. Im Wortlaut: „Es ist einfach so, dass von der Geburt an Kinder selber sexuelle Gefühle haben und für viele Menschen erotisch zumindest interessant sind und dann passieren diese Kommunikationen, die meistens im Zaum gehalten werden, aber irgendwo wird dann eben doch das Sexuelle erlernt“, sagt Lautmann. „Ich würde das nicht so hoch dramatisieren.“ Dem Moderator, der das Gespräch ansonsten mit präzisen Fragen lenkt, fällt dazu nicht mehr ein als „Gut, lassen wir das erst mal so stehen.“

Ein Fehler, findet Klaus-Peter David, seit zehn Jahren Leiter der Täter-Beratungsstelle bei der Kieler Profamilia. Schließlich würde so unkommentiert ein Zusammenhang hergestellt, der es Missbrauchern erlaube, ihre Taten als unschädlich zu verteidigen. „Klassisch pädophil“ sei die Vermischung von erwachsener Geilheit und kindlichen Erlebnissen, sagt David. Während Pädophile und ihre Fürsprecher für sich in Anspruch nehmen, die wahren Kinderfreunde zu sein, weil sie ihnen ein „Recht auf Sexualität“ einräumen, belegten Studien und Erfahrungen von Opferberatungen das Gegenteil, so David. Und: „Viele der Opfer kommen aus schwierigen Verhältnissen und nehmen den Sex in Kauf, weil das für sie die einzige Möglichkeit ist, Zuwendung zu bekommen.“ Wie die Kinder, mit denen Michael Jackson sich umgeben hat. „Vergleichsweise harmlos“ urteilt Lautmann über den Fall im NDR-Gespräch und sagt, dass die Berichterstattung über Kindesmissbrauch den – falschen – Eindruck erwecken würde, „dass es besonders häufig geschieht und dass es besonders schlimm ist“.

Die Frage der taz, ob er damit sagen wolle, sexueller Missbrauch sei für Kinder unproblematisch, will Lautmann nicht beantworten. Über das Thema Pädophilie wolle er nicht mehr sprechen, sagt er mit Verweis auf die Diskussionen um sein 1994 erschienenes Buch. Warum er sich dann entgegen dieses Vorhabens in der Sendung entsprechend geäußert habe, erklärt er damit, man könne ja wohl noch behaupten, dass Kinder sexuelle Gefühle haben.

Auch der NDR will nicht über den Fall sprechen und verweist darauf, dass „der Charakter der offenen Diskussion“ der Sendung gestört würde, wenn der Moderator korrigierend eingreifen würde. Andere Sendungen belegen aber, dass Moderatoren sehr wohl eingreifen. Auch seien in dem Gespräch noch viel extremere Positionen vertreten worden wie die Forderung nach der Todesstrafe, schreibt die NDR-Frau Scheuerl. Der kleine Unterschied: Diese kam von einem Hörer und nicht von einem Experten und wurde darüber hinaus aufgegriffen und diskutiert.

Ganz offenbar waren Redaktion und Moderator nicht darauf eingestellt, dass das Gespräch einen pädophilie-freundlichen Unterton bekommen könnte. „Die Redaktion hat in ihren eigenen Archiven und im Internet recherchiert und ist auf keinerlei Hinweise gestoßen, die Herrn Prof. Dr. Lautmann in ein fragwürdiges Licht rücken“, heißt es. Besonders tief scheint die Recherche nicht gegangen zu sein. Eine einfache Suche im Internet führt zu einer Reihe erhellender Beiträge. Zum Beispiel: „Gib einfach Lautmann und Pädophilie in eine Suchmaschine ein und du wirst die einzigen positiven Bewertungen seiner Arbeit zur Pädophilie bei Pro-Pädophilie-Seiten finden.“ Leider stimmt das nur zum Teil. Nicht nur Pädophile halten einen Bruch mit dem Tabu Sex mit Kindern für angemessen. So weit würde der NDR allerdings nicht gehen.