Rutschpartie im Weltgefüge

In David Lindemanns Theaterstück „Koala Lumpur“ schwimmt die Post-9/11-Realität davon – direkt ins Heute. Dagegen anreden da hilft auch nicht viel.

Terror macht sprachlos. Wo trotzdem geredet wird, ist schnell zu spüren, dass es sich eher um Beschwörungsversuche handelt, mit denen die Ausmaße des Unfassbaren gefasst werden sollen. Dass nichts mehr so sein wird wie vorher, war eine der großen, überstrapazierten Leerformeln, in denen sich die Ratlosigkeit angesichts der Anschläge auf das World Trade Center am deutlichsten ausgedrückt hat. In den literarischen und essayistischen Versuchen zum 11. September, die unmittelbar auf das Ereignis folgten, kann man diese hohle, unsichere Formelhaftigkeit des Zeitenumbruchs nachlesen.

So auch bei David Lindemann. Mit „Koala Lumpur“ hat der 28-jährige Autor im Jahr nach dem Einsturz der Twin Towers ein Theaterstück geschrieben, das dieses „Nichts ist mehr so wie vorher“ in Szene setzt: Ein Campingplatz nahe New York wird für zwei Angestellte eines angeschlagenen deutschen Start-up-Unternehmens zu einem in Regenfluten versinkenden Endzeitszenario. Weil nach dem Anschlag alle Wege in die Stadt gesperrt und alle Flüge nach Deutschland gestrichen sind, müssen sie es in der Enge eines Zweipersonenzeltes tagelang mit sich selbst und mit dem anderen aushalten.

Und während sie noch glauben wollen, dass alles bald so weitergeht wie vorher, ist schon längst klar, dass genau das nicht der Fall ist. Trotzdem weigert sich die Sekretärin Frau Schmidt standhaft, die Wirklichkeit anzunehmen. Unablässig spricht sie davon, möglichst schnell den Blick von der Aussichtsplattform des World Trade Centers genießen zu wollen. „Warten auf Godot“ lässt grüßen.

Doch wird hier nicht wie bei Beckett eine Utopie im sinnleeren Raum beschworen. Hier wird versucht, die Trümmer der Geschichte zusammenzureden, damit alles beim Alten bleiben kann. Dass Wunsch und Wirklichkeit so auseinander driften, zeigt David Lindemann als Folge einer totalen Medialisierung. Und mit einer geballten Ladung Medienkritik und postmoderner Philosophie will der studierte Soziologe seine Thesen vom Zersplittern der Wahrnehmung und von der Verflüssigung der realen Zusammenhänge beweisen.

Friederike Hundertmark, die „Koala Lumpur“ jetzt am Acud-Theater inszeniert hat, verzichtet auf die allzu plakative Derealisierungssymbolik. Sie verlässt sich auf den dramatischen Bodensatz des Stücks. Der allerdings trägt so wenig wie der New Yorker Campingplatz nach zwei Wochen Dauerregen. Das musste vor zwei Jahren schon Wilfried Minks, Regisseur der Bochumer Uraufführung, erfahren. Dank der virtuosen Komik von Katharina Thalbach gelang in Bochum zumindest handfester Slapstick. In Berlin aber, wo die Figuren auf ein paar Quadratmetern Kunstrasen letzte Fragen zur Weltwirklichkeit verhandeln müssen, doch letztlich nur über das Pinkelnmüssen reden dürfen, wird das Ganze zu einer haltlosen Rutschpartie.

Der Abend hat so kurz nach den Terroranschlägen von London eine ganz eigene, traurig-düstere Brisanz. Denn während auf der Bühne noch versucht wird, die Katastrophe vom 11. September im Redefluss zu ertränken, ist das apokalyptische Einzelereignis längst zum Piloten einer unheimlichen Serie geworden, dessen Fortsetzungen angelaufen sind.

WIEBKE POROMBKA

„Koala Lumpur“, Acud-Theater, Veteranenstr. 21. Vorstellungen am 9. und 10. 7. und vom 14. bis 17. 7.