Vor Wut kochen

Ein politisch ambitioniertes Sound-Mahl aus Bio-Äpfeln, Fast Food und Pfannkuchen wurde zum leidlich interessant angerichteten Ohrenschmaus: Sample-Aktivist Matthew Herbert eröffnete mit „Plat Du Jour“ das Festival Now in der Arena
VON JAN KEDVES

Fett wird man schneller, als einem lieb ist. In dem Dokumentarfilm „Super Size Me“ war das vor kurzem unschön anzuschauen. McDonald’s versuchte prompt, den Imageschaden mit Bio-Milch und Obstsalat einzudämmen. Der britische TV-Koch Jamie Oliver engagiert sich derweil für die gesunde Kinder-Ernährung, während Millionen-Erbin Paris Hilton sich mit Werbeclips für die US-Burger-Kette Carl’s weitere Millionen erwirtschaftet.

Irgendwo in diesem Dickicht aus echter beziehungsweise geheuchelter Gesundheitsfürsorge platziert sich der Londoner Musiker Matthew Herbert mit „Plat Du Jour“, seinem neuen Projekt. Seit Mitte der 90er-Jahre stellt der Produzent eine Ausnahmeerscheinung in der elektronischen Musik dar – ob er für sein Album „Bodily Functions“ Magenknurren samplete oder auf dem Big-Band-Album „Goodbye Singtime“ Hollywood-Swing der 50er mit Globalisierungskritik kurzschloss. Mit „Plat Du Jour“ präsentiert er ernährungsbewusste Musique Concrète, gemacht aus Lebensmittel-Sounds.

Ein Statement gegen versteckten Zucker, Monokultur und für artgerechte Tierhaltung: Manche mögen in Herbert einen Appetitverderber sehen, er selbst allerdings weiß die Medienaufmerksamkeit, die für ihn dieser Tage als Produzent des Soloalbums der Moloko-Sängerin Roisin Murphy abfällt, geschickt in politische Kanäle umzuleiten. Am Donnerstagabend führte er „Plat Du Jour“ nun erstmals live in Deutschland vor, zum Auftakt des „Now“-Festivals in der Arena.

Im Hintergrund eine große Videoleinwand und ein paar Musikerkollegen, zur Linken eine Percussion-Batterie aus San-Pellegrino-Flaschen, Slim-Fast-Dosen und Kellogg’s-Kartons, zur Rechten eine Köchin, die ihr Bestes gab, die geschätzten 45.000 Kubikmeter Luft der Arena mit Pfannkuchenduft zu füllen: Herbert versuchte, so gut es ging, von seiner Person abzulenken. Und möglicherweise auch davon, dass er kompositorisch schon Interessanteres geleistet hat als bei „Plat Du Jour“.

Zunächst dirigierte er sein Publikum beim Apfelessen: Jeder Besucher hatte beim Hereinkommen einen Erlenhof-Jonagold-Apfel in die Hand gedrückt bekommen – laut Ökotest immerhin einer der wenigen konventionell angebauten Äpfel, der frei von Pestiziden ist. „Hoffen wir, dass diese Äpfel wirklich aus Deutschland stammen und nur im Kühlhaus gelegen haben, dann wären sie immer noch besser als Äpfel aus Kalifornien oder Neuseeland“, erläuterte Herbert. Und noch bevor man sich fragen konnte, wie sinnvoll es ist, acht Musiker, die Nahrungsmitteltransporte um die halbe Welt kritisieren, aus London nach Berlin einzufliegen, tönte die Stimme von Matthew Herberts Ehefrau Dani Siciliano aus den Boxen: „You are what you sell“ – eine Attacke auf das Werbe-Engagement von Stars wie David Beckham und Beyoncé Knowles für Fast-Food-Ketten. Dass Sicilianos Stimme nur aus dem Off kam und sie nicht selbst auf der Bühne stand, wollte man erst als Manko werten, entschloss sich dann aber doch, der Sehnsucht nach Authentizität nicht zu viel Raum zu geben.

Das Publikum amüsierte sich ohnehin köstlich darüber, dass in den Einspielern der Videokünstlerin Lenka Clayton aus dem McDonald’s-Claim „I‘m lovin’ it“ in trickreichen Drehern Botschaften wie „I vomit Nil“ wurden. Den Höhepunkt allerdings sparte sich Herbert für den Schluss auf: In einem Video sah man ihn mit einem Panzer über eine Picknickdecke brausen. Darauf war eine Rekonstruktion des Mahls angerichtet, die die britische Fernsehköchin Nigella Lawson kochte, als George Bush nach England kam, um Tony Blair für seine Hilfe im Irak zu danken. Als Untermalung ein Bild der beiden Kriegsherren im Matsch und ein brutaler Industrial-Techno-Soundtrack: Vor dem Hintergrund der Terroranschläge am Donnerstagmorgen in London bekam diese Darbietung eine beunruhigende Eindringlichkeit. So war man sich nachher plötzlich wieder ziemlich sicher, dass es doch ganz gut ist, einen vor Wut kochenden Matthew Herbert auf der Welt zu haben. Auch wenn kein einziges seiner Essenslieder im Ohr hängen geblieben ist.

NOW – Urban Culture Festival: heute ab 21 Uhr mit Shystie, Puppetmastaz, Infinite Livez u. v. a; morgen ab 21 Uhr mit Motor, Dakar & Grinser, Artist Unknown u. v. a.; Arena, Eichenstr. 4