die gesellschaftskritik
: Alte Freunde unserer Sache

Marcello Dell’Utri war über Jahrzehnte die rechte Hand Silvio Berlusconis

Journalisten des Corriere della Sera protestieren nun doch gegen Mafia-Verehrung

Nachdem am vergangenen Samstag, 11. September, in der führenden italienischen Tageszeitung Corriere della Sera eine ganzseitige Anzeige zum 80. Geburtstag des verurteilten Mafioso und Berlusconi-Intimus Marcello Dell’Utri erschienen war (die taz berichtete), hat sich nun die Redaktion des Mailänder Blatts zu Wort gemeldet.

Kernstück des Schreibens an den „lieben Chefredakteur“ und einstigen Jungkommunisten Luciano Fontana ist der Satz: „Wir sind der Meinung, dass die Verantwortlichen der Anzeigenseiten vorsichtiger sein und nicht den geringsten Zweifel an der absoluten Unnachgiebigkeit des Corriere della Sera gegenüber denjenigen aufkommen lassen sollten, die rechtskräftig wegen Mafiadelikten verurteilt wurden und in anderen Prozessen, ebenfalls wegen Mafiadelikten, angeklagt sind.“

Auf der Anzeige für Dell’Utri auf Seite 26 des liberalkonservativen Blattes, für das seit Beginn des Jahres auch der von der Mafia bedrohte Autor und Journalist Roberto Saviano arbeitet, waren die Unterschriften von über 200 Personen um die Zeile „Auguri Caro Marcello“ (Herzliche Glückwünsche, lieber Marcello) gruppiert.

Marcello Dell’Utri war über Jahrzehnte die rechte Hand Silvio Berlusconis und wurde 2014 wegen Unterstützung der Mafia und als Kontaktperson Berlusconis zur Cosa Nostra („Unsere Sache“) zu sieben Jahren Haft verurteilt, von denen er vier Jahre im Gefängnis und ein Jahr in Hausarrest verbüßen musste. Außerdem läuft gegen ihn noch ein Verfahren, das seine Rolle als eventueller Auftraggeber der Terroranschläge der Cosa Nostra 1992/93 untersucht. Auch beim laufenden Prozess zu möglichen Absprachen zwischen Staat und Mafia („trattativa“) ist Dell’Utri einer der Angeklagten.

Unter den Unterzeichnern des geschmacklosen Geburtstagsgrußes finden sich neben ehemaligen Mitarbeitern aus Berlusconis TV-Imperium auch Politiker wie der Ex-Ministerpräsident der Region Venezien, Giancarlo Galan, der ebenfalls zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Eine ähnliche bezahlte Verehrungsgeste für den Mafioso Dell’Utri hatte bereits 2014 Protest in der Corriere-Redaktion ausgelöst, den nun nach der erneuten Huldigung viele Beobachter zunächst vermisst hatten.

Die Redaktion betont die negativen Reaktionen der Leserschaft, bleibt im Ton aber sehr vorsichtig. Das mag auch daran liegen, dass der Präsident der RCS MediaGroup, zu der der Corriere gehört, ein früherer enger Mitarbeiter Dell’Utris ist: Urbano Cairo, der lange in unmittelbarer Umgebung Berlusconis in dessen Fininvest-Konzern arbeitete, ist heute Mehrheitseigner der RCS-Aktiengesellschaft.

In einem solchen Klima geschäftlich-freundschaftlicher Langzeitbeziehungen scheint tatsächlich auch das, von außen betrachtet, Italien vollkommen unmöglich Machende möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich.

Dass nämlich der bald 85-jährige Berlusconi tatsächlich, wie von ihm angestrebt, im nächsten Jahr zum Präsidenten der Republik gewählt wird – nicht vom Volk versteht sich, sondern von den vielen alten Freunden im Parlament. Ambros Waibel