Rückzug ins Museum

Während die Prozna-Straße, die letzte „jüdische“ Straße Warschaus, mehr und mehr verfällt, entsteht wenige Straßen weiter ein neues und gläsernes „Museum der Geschichte der polnischen Juden“

VON GABRIELE LESSER

Glas soll es sein. Kein Gebäude aus Stein, Beton oder Metall soll die Geschichte der polnischen Juden in Erinnerung rufen, sondern ein Glasquader mit der unaufdringlichen Symbolik des geteilten Roten Meeres. Dies entschied vor wenigen Tagen die Jury des internationalen Architektenwettbewerbs für den Bau des Museums der polnischen Juden in Warschau. Gewonnen haben den Wettbewerb die finnischen Architekten Ilmari Lahdelma und Rainer Mahlamäki. Das Duo, das seit 1997 zusammenarbeitet, habe die Jury mit seinem „sehr rationalen und zugleich dynamischen“ Projekt überzeugt, so der Luxemburger Architekt und Jury-Vorsitzende Bohdan Paczowski in Warschau.

Mit ihrem Projekt schlugen die Finnen unter anderem Daniel Libeskind, der mit dem Bau des Jüdischen Museums in Berlin zum Star der Architekturszene avancierte, Kengo Kuma aus Japan und den deutsch-israelischen Architekten Zvi Hecker aus dem Rennen. Alle drei erhielten Sonderauszeichnungen der Jury für ihre symbolstarken und expressiven Entwürfe.

Das „Museum der Geschichte der polnischen Juden“, wie es offiziell heißen wird, soll auf dem Gelände des ehemaligen Warschauer Ghettos entstehen, auf einer Fläche von 13.000 Quadratmetern. Direkt gegenüber steht das Denkmal für den Warschauer Ghettoaufstand von 1943. Der Baubeginn ist für das nächste Jahr geplant, die Eröffnung für 2008. Anders als in Berlin, wo für die fertige Hülle des Jüdischen Museums erst die passende Sammlung und Dokumentation erarbeitet werden musste, ist die Warschauer Ausstellung bereits weitgehend fertig. Gezeigt werden soll die gut 800-jährige Geschichte der polnischen Juden. Doch obwohl es ein „Museum des Lebens“ sein soll, beginnt es mit einem Grabstein – der ersten Spur jüdischen Lebens in Polen – und endet mit einem Grabstein – dem Denkmal der Ghettokämpfer Warschaus. Wenn die Museumsbesucher das Glashaus mit dem für die polnisch-jüdischen Beziehungen so symbolträchtigen Riss oder Glasbruch durch das ganze Gebäude verlassen, gehen sie direkt auf das Ghettodenkmal zu. Hinter ihm beginnt der Gedenkpfad zum Umschlagplatz. Von hier aus hatten die Nazis 1941 bis 1943 hunderttausende Juden in die Vernichtungslager Treblinka und Belzec abtransportiert.

Daniel Libeskind hatte mit seinem expressiven Entwurf eines aufgeschlagenen Buches eine Symbolik gewählt, die nicht tragisch interpretiert werden konnte. Zudem hatte er das „Buch“ so platziert, dass nicht nur die hässlichen Plattenbauten rund um den Platz an den Rand gedrängt und optisch fast verschwunden wären, auch das Ghettodenkmal wäre kleiner erschienen als bisher. Für Liebeskind dauert das „Volk des Buches“ trotz der großen Katastrophe fort. Sein Museumsentwurf in Warschau steht für Hoffnung und Zukunft. Auf der Suche nach den heute in Warschau lebenden Juden kommt der ein oder andere vielleicht an der Synagoge vorbei, am Plac Grzybowski und der Prozna-Straße im Zentrum der Stadt. Auch hier war einmal ein Museum der jüdischen Kultur geplant, allerdings ein lebendiges, mit Cafés und Galerien, Läden, Hotels und Restaurants. Doch das Projekt ist – zumindest dem äußeren Anschein nach – gescheitert. Von den großen Visionen des Milliardärs und Erben des Estée-Lauder-Kosmetikkonzerns ist nicht viel geblieben. Auf dem Platz gegenüber der Synagoge, wo die jüdische Schule entstehen sollte, wächst wie eh und je das Gras. Die Schule ist längst am Stadtrand Warschaus entstanden.

Die Prozna-Straße, die letzte „jüdische“ Straße Warschaus, verfällt derweil mehr und mehr. Holzbalken stützen Wände und Balkone. „Vorsicht, Einsturzgefahr“ warnen gelbe Schilder. Die „jüdische Renaissance“, die nach der Wende 1989 einsetzte und viele Neugierige anlockte, ist bereits vorbei. Zu den Gottesdiensten kommen meist nur wenige alte Männer, an Feiertagen auch oft Touristen aus Israel oder den USA. Für sie und für Polens Jugend, die in der Schule kaum etwas davon erfährt, welche Bedeutung die Juden Polens für seine Geschichte haben, ist das „Museum der Geschichte der polnischen Juden“ gedacht. 100 Millionen Zloty (25 Millionen Euro) soll es kosten. Je 10 Millionen Euro übernehmen die Stadt Warschau und das Kultusministerium, 5 Millionen Euro steuert die Gesellschaft des Jüdischen Historischen Instituts Warschau bei. Während in der Prozna-Straße die letzten Spuren jüdischen Lebens in Warschau zerbröseln, entsteht das Museum ein paar Straßen weiter: ein Glashaus mit den Splittern der polnisch-jüdischen Erinnerung.