Populismus der Herrschenden

betr.: „Ungleiche Geschwister“, Debatte von Harald Bergsdorf, taz vom 5. 7. 05

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Nun ist es auch in der taz zu lesen. Die politische Rechte und die Linke sind alles eine Soße. Zum Beweis gibt es eine Statistik. In Sachsen-Anhalt haben 1998 23 Prozent der DVU-Wähler ihre Erststimme der PDS gegeben. Was Herr Bergsdorf verschweigt: Die SPD bekam 22 Prozent und die CDU 20 Prozent dieser Erststimmen. Politische Mitte und Rechte eine Soße? Wer für Mindestlöhne und gegen Nato-Bomben auf Belgrad ist, hat Unrecht und ist ein „rechtslinker“ Populist. Wie einfach ist doch die Weltsicht mancher „mittemitte“ Wissenschaftler. ULRICH SEDLACZEK, München

Auf diesen miesen Versuch, die Linkswähler in die rechte Ecke zu stellen, braucht man gar nicht weiter einzugehen. Auch nicht auf die Verherrlichung unserer „sozialen Marktwirtschaft“. Ein-Euro-Zwangsjobs und Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien sind schließlich keine „populistischen Halbwahrheiten“, sondern Tatsachen. Traurig ist nur, dass die taz derartiges abdruckt.

UWE SAFIKA, Hückelhoven

Sicher hat der Nato-Einsatz in Exjugoslawien Milošević gestürzt, aber wird dadurch der Vorwurf eines völkerrechtswidrigen Einsatzes entkräftet? Wenn Mindestlöhne Güter für ärmere Schichten unbezahlbar machen, warum ist dies in all den Ländern nicht der Fall, in denen Mindestlöhne existieren? Wenn der Begriff „Fremdarbeiter“ rechtsextrem ist, warum wird er von der SPD bis zur EU-Kommission benutzt? Wenn die PDS auch mittelständische Unternehmen ansprechen will, warum sind dies dann plötzlich Unternehmen, die „von früheren Stasi-Mitarbeitern“ geleitet werden. Eine solche Differenzierung ist doch in der Realität gar nicht machbar. Was soll also der Vorwurf anderes sein als pure Demagogie? Das also, was Bergsdorf Lafontaine und der PDS zum Vorwurf macht.

RALF HENRICHS, Münster

Genau. Brave, reformistische Traditionssozis sind so weit links, wie Bergsdorf sich gerade noch vorstellen kann, und somit das Extrem, das sich mit den Neonazis berührt. Sozis und Nazis sind sowieso eine Soße; nur der Liberalismus ist unfehlbar – und nicht etwa nur, wie der Faschismus, eine Erscheinungsform bürgerlicher Herrschaft. Was ihm widerspricht, ist unvernünftig, vor allem Mindestlöhne. Nur in Niedriglohnländern finden Autos reißenden Absatz. Das eigene dumme Zeug ist zu komplex für den Pöbel, und was dem gefällt, ist von vornherein un- oder halbwahr. Das musste mal wieder gesagt werden. Danke. JENS GREGERSEN, Hamburg

Der Kommentar von Harald Bergsdorf spiegelt die Angst des politischen Betriebes vor einem Austragen sozialer Gegensätze dieser Gesellschaft wider. Antidemokratisch sind Parteien, die dauerhaft das Gerechtigkeitsempfinden der Mehrheit der Bevölkerung verletzen. Bergsdorfs plumpe Gleichsetzung von „Links- und Rechtsextremen“ (seit wann ist die PDS/WASG linksextrem?), die einfache Lösungen für komplizierte Angelegenheiten anböten, wertet Rechtsextreme auf und transportiert eine Botschaft: Die Parteien der Mitte haben für alle Probleme die beste Lösung.

Dabei sind genau diese Parteien die größten Populisten, wie sich am absurden Linksschwenk von Rot-Grün und am Lavieren der Union um die Mehrwertsteuer sehen lässt. Und auch die Botschaften der großen Koalition der Mitte sind nicht gerade das, was man komplex und antinationalistisch nennen würde: „Vertrauen in Deutschland“ (SPD), „Deutschland braucht Zukunft“ (CDU), „Deutschland wechselt“ (FDP). Die Parteien, geführt nach Regeln des Produktmarketings, drehen sich um sich selbst, und ein aufgeklärtes Medium wie die taz könnte daran mitwirken, dies zu analysieren, anstatt Nebelbomben zu werfen. TOBIAS SCHULZE, Berlin

Mit solchen Artikeln treibt ihr ja geradezu Menschen in die Arme der Linkspartei. Die Populismusschelte, zu der sich der Autor völlig undifferenziert herablässt, verdeckt alle wirklichen Widersprüche der grassierenden Repräsentationskrise, Probleme der Linkspartei und Gefahren des Rechtsextremismus und Rassismus.

Vor allem offenbart der Autor aber nichts als einen blanken Populismus der Herrschenden, der alle Positionen, die nicht die eigenen sind, als „extrem“ denunziert. Er liefert kaum Argumente, nimmt Probleme und Unzufriedenheit der Menschen nicht ernst, tut vielmehr so, als seien diese nur von schlimmen Parteien und Populisten wie Lafontaine geschürt. Das ist platt und ziemlich durchsichtig – und die taz tut sich keinen Gefallen damit, Standards journalistischer Sorgfaltspflicht mit solch banalen Kommentaren zu unterschreiten. Die Linkspartei ist ob ihrer Widersprüche und in weiten Teilen retronormativen Positionen nun wirklich kritikwürdig (die anderen Parteien nicht minder), aber auf diese Art verfehlt Kritik ihren Gegenstand. MARIO CANDEIAS, Berlin

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