Karneval der Möglichkeiten

KUNST & POLITIK Kunst, Avantgarde und gesellschaftliche Emanzipation: Die Veranstaltung „Gegen ohne für“ beleuchtet und vertont heute das linke Kunstverständnis seit ’68

Wo „andere Möglichkeiten“ produziert wurden und ihren subversiven Charme entfalteten, stehen heute alle Möglichkeiten schon bereit

VON NILS SCHUHMACHER

Manchmal kommt Kunst von Wollen. Dann nämlich, wenn Politiktreibende nach Anschlusspunkten bei den Kunstschaffenden fahnden oder dann, wenn der Kunstbetrieb die Möglichkeiten seiner eigenen Politisierung beforscht. Wie aus „Wollen“ dann doch irgendwie noch „Können“ wird und wie eine theoretische Bestimmung des schwierigen und widersprüchlichen Verhältnisses zwischen Politik und Kunst ausfallen sollte, wird heute in der Roten Flora ausgelotet.

Dabei deuten nicht nur Titel und voluminöser Ankündigungstext an, dass Großes geplant ist. Nicht weniger als das gesamte Dilemma des linken Kulturverständnisses der Post-68er-Ära kommt nämlich auf den Tisch und unter das Messer. Der Ausgangspunkt der Operation scheint klar: Innerhalb der Linken spielten Kunst und Kultur in den vergangenen Jahrzehnten vorrangig unter dem Gesichtspunkt ihrer Funktionalisierung für eigene Zwecke eine Rolle. Wo dies misslang, wurde geradezu reflexhaft auf Abgrenzung gesetzt. Während die Frage, was politisch wirksame Kunst sein soll und wo sie stattfindet, den üblichen Popkultur-Experten überlassen wurde, nistete der Rest auf Archipelen eines sich für gut haltenden Geschmacks und Lebensstils. Ein solches, oft als Avantgardismus missverstandenes Eigenbrötlertum funktioniert allerdings auch nur unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen – und die dürften sich nachhaltig geändert haben. Entsprechend ist das Verhältnis zur Kunst, wie auch zu allem anderen, heute im Rückwärtsgang zu bestimmen.

Und was macht der Kunstbetrieb währenddessen? Seit einigen Jahren politisiert er wieder, experimentiert, sucht die Öffentlichkeit und interveniert. Nicht zuletzt in Hamburg lässt sich diese Entwicklung derzeit beobachten, wo Initiativen gegen die Umgestaltung der letzten Reste des Gängeviertels hauptsächlich von Künstlerinnen und Künstlern getragen werden, wo Künstlerinnen und Künstler sich an den Protesten gegen Umstrukturierungsprozesse auf St. Pauli beteiligen, wo insbesondere der Theaterbetrieb auf der Flucht vor der Langweiligkeit, die im eigenen Laden herrscht, sich an den besten Vertreterinnen und Vertretern der politischen Subkultur nur zu gerne auflädt.

Ein Hoffnungsschimmer? Aus Sicht der Veranstaltenden wohl eher nicht, denn auch hier fehlen letztlich die Begriffe, die politische Anschlüsse überhaupt erst möglich machen. Die größte Schwierigkeit, in der sich sowohl die einen als auch die anderen bewegen, findet sich allerdings jenseits ihrer eigenen Traditionen und Verstiegenheiten. Wo eine bestimmte Politik und ein bestimmter emanzipativ gedachter Kunstbegriff mal einen Realität verdoppelnden und damit potenziell kritischen Zugriff auf die Welt darstellten, präsentiert sich diese Welt heute schließlich bereits als höchst fiktive Veranstaltung. Dort wo „andere Möglichkeiten“ produziert wurden und ihren subversiven Charme entfalteten, stehen heute alle Möglichkeiten in einer Art Dauerkarneval schon bereit, was auch zu einer gewissen Rückstandslosigkeit noch der besten Aktivität führt.

Man könnte dies beklagen. Man könnte diesen gemeinsamen Problemzusammenhang aber auch als Chance begreifen, den Begriff der Emanzipation neu zu denken. Wie haben „Tocotronic“, die den Abend mit einem Konzert beschließen, hintersinnig gesagt: „Es gibt nur cool und uncool und wie man sich fühlt“. So sei es. Oder anders.

■ Diskussionsveranstaltung mit Till Gathmann, Rosa Perutz und Kerstin Stakemeier, Moderation Roger Behrens: Sa, 13. 9., 16 Uhr, Rote Flora, Schulterblatt 71. Im Anschluss: Konzert mit Tocotronic und anderen