BETTINA GAUS POLITIK VON OBEN
: Schluss mit dem Gequengel!

Folgenloses Gejammer über Parteien und Politiker in Deutschland ist demokratiefeindlich und allmählich langweiliger als jede Wahlveranstaltung

Auf der Zielgeraden. Endlich. Das Ende eines Wahlkampfs, an dessen Einzelheiten sich bald nicht einmal mehr die Protagonisten erinnern dürften, ist in greifbare Nähe gerückt. Eine niedrige Wahlbeteiligung ist ebenso vorhersehbar wie die enttäuschende Quote des sogenannten Kanzlerduells nachvollziehbar war. Das Publikum zeigt Parteien und Politikern, was es von ihnen hält – nämlich wenig –, und richtet sich mehrheitlich im eigenen Überdruss ein. So kann man das natürlich machen.

Man kann es aber auch allmählich mal lassen. Das Gegreine darüber, dass es angeblich keine Unterschiede mehr zwischen den Parteien gibt und der Wahlkampf so langweilig ist, langweilt mich inzwischen mehr als jede Wahlveranstaltung. Das will etwas heißen.

Noch vor einigen Jahren war es interessant zu analysieren, welche Auswirkungen das Ende des Kalten Krieges und somit des Wettstreits der Systeme auf die Parteien hatte und in welchen Bereichen sie sich aneinander anglichen. Inzwischen ist die Debatte durch. Das, was davon übrig geblieben ist, ist nicht mehr interessant, sondern nur noch larmoyant. Wer behauptet, dass es keine Unterschiede zwischen Linkspartei und FDP gibt, ist einfach nicht bei Verstand.

Häufig soll die Klage über die vermeintliche Austauschbarkeit der Parteien und Akteure aber ja gar keine Unzufriedenheit mit konkreten Programmen ausdrücken, sondern mit der gewaltigen Macht, die Parteien inzwischen in Staat und Gesellschaft ausüben und die so von den Eltern des Grundgesetzes nicht geplant war. Die schrieben von der Mitwirkung an der politischen Willensbildung, nicht von einem Alleinvertretungsrecht.

Kritik am Parteienstaat in seiner gegenwärtigen Form? Gern. Immerzu. Ich bin dabei. Aber die Pflege von Ressentiments hat nichts mit sachlicher Kritik zu tun – und mit politischem Handeln schon gar nichts. Es gibt gute Gründe für die Ansicht, dass „die Parteien“ weder die Wirtschaftskrise noch die Probleme der sozialen Sicherungssysteme noch die Frage von Krieg und Frieden im Griff haben.

Aber warum wird dann nicht auf anderen Ebenen für Veränderungen gefochten? Oh ja, es finden Demonstrationen statt, auch große. Geschenkt. Die sind schnell vorbei. Unterdessen kämpfen die Gewerkschaften weiter gegen Mitgliederschwund. Die Globalisierungskritiker finden keinen größeren Zulauf, ganz zu schweigen von den mageren Resten der Friedensbewegung. Und warum entwickeln sich keine neuen Organisationen für Themen, die von den Altparteien vernachlässigt werden – außer vielleicht die Piratenpartei? Ach so. Schon wieder eine Partei.

Das Gequengel über Politiker und Parteien ist demokratiefeindlich, solange es folgenlos bleibt. Aber natürlich ist niemand gezwungen, ein Demokrat zu sein.

■ Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz Foto: Amélie Losier