„Wir fordern eine sofortige Luftbrücke“

Frauen in Afghanistan sind in akuter Gefahr. Die Frauenrechtlerin Monika Hauser glaubt, dass die Bundesregierung mit den Taliban verhandeln muss

Foto: Peter Lang

Monika Hauser, 62, ist Gründerin und Vorsitzende der Frauenrechtsorganisation Medica Mondiale.

Interview Patricia Hecht

taz: Frau Hauser, Sie arbeiten bei Medica Mondiale seit 20 Jahren für Frauenrechte mit einer Schwesterorganisation in Afghanistan zusammen. Können Sie gerade noch Kontakt zu den Frauen herstellen?

Monika Hauser: Wir sind auf unterschiedlichen Kommunikationskanälen in engem Austausch. Letzte Woche konnten die Kolleginnen aus Herat und Masar-i-Scharif im letzten Moment nach Kabul fliehen. Alle 90 Kolleginnen sind nun mit ihren etwa 300 Familienmitgliedern in Kabul.

Wie geht es ihnen?

Sie wissen nicht, wie die nächsten Stunden und Tage sein werden, und schwanken zwischen Hoffnung und großer Verzweiflung. Wenn es zwei Stunden keine Schüsse gibt oder doch mal wieder ein Flugzeug starten kann, werten sie das als gutes Zeichen.

Seit wann arbeiten Sie daran, die Menschen aus dem Land zu holen?

Wir sind bereits seit Wochen dabei, die Szenarien vorzubereiten und mit den Kolleginnen zu besprechen. Seit Freitag arbeiten wir mit einem Krisenteam in Köln rund um die Uhr. Aber die Schnelligkeit, mit der die Taliban insbesondere in der letzten Woche vorgedrungen sind, hat auch uns überrascht. Unsere Kolleginnen wollten vorher überhaupt nicht raus, die wollten ihre Arbeit weiter machen, auch in Kooperation mit dem Auswärtigen Amt.

Funktioniert die Zusammen­arbeit mit der Bundesregierung?

Zwar hat das Außenministerium gestern endlich deutlich gemacht, dass politischer Wille da ist, unsere Kolleginnen und andere NGOs bei der Rettung von Menschen zu unterstützen, die unmittelbar gefährdet sind. Aber bislang hat sich vor Ort nichts getan. Die Bundesregierung muss vor allem den Transport zum Flughafen sicherstellen und dann die Ausreise der Kolleginnen, gegebenenfalls mit internationaler Unterstützung. Die Situation zeigt in ihrer ganzen Desolatheit, dass viel zu wenig vorbereitet wurde, um mit einer solchen Krise umzugehen und Menschen retten zu können.

Was bräuchten Sie jetzt?

Wir fordern eine sofortige Luftbrücke. Es muss geklärt werden, wie unsere Kolleginnen sicher von ihrem Aufenthaltsort zum Flughafen kommen. Dafür muss die Bundesregierung auch mit den Taliban reden.

Die Bundesregierung soll mit Extremisten reden?

Natürlich. Man hat die Taliban viel zu lange ignoriert, das war immer falsch und geht jetzt überhaupt nicht mehr. Es wird kein Weg daran vorbeiführen, mit der neuen afghanischen Regierung zu reden, das muss man leider so sagen. Die Taliban wollen Anerkennung und westliches Geld. Und diese Gelder muss man an Menschen- und Frauenrechte binden. Das ist eine Aufgabe, die auf die nächste Bundesregierung zukommt.

Gehen Sie davon aus, dass Ihre Kolleginnen es noch schaffen, aus Afghanistan herauszukommen?

Wir unterstützen unsere Kolleginnen bei allem, was ihre Lage verbessern kann.

Was, wenn sie nicht mehr evakuiert werden könnten?

Darüber möchte ich nicht spekulieren. Wir haben sehr exponierte Kolleginnen, die immer wieder in den afghanischen Medien waren und etwa als Juristinnen viele Männer hinter Gitter gebracht haben. Sie werden für sich und ihre Familien entscheiden, welcher Weg für sie möglich ist: Das kann bedeuten, in Nachbarländer zu fliehen, zu versuchen, in sichere Staaten auszureisen. Oder auch, in den Untergrund zu gehen, um sich zu schützen oder von dort aus ihre Arbeit fortzusetzen.

Macht der Sieg der Taliban 20 Jahre Ihrer Arbeit zunichte?

Auf keinen Fall. Unsere Partnerinnen haben nachhaltige Strukturen aufgebaut und unglaublich mutige Arbeit geleistet. Sie haben Tausende Frauen und Mädchen bei Scheidungen beigestanden, sie dabei unterstützt, dass sie wieder Mut und Kraft hatten fürs Leben. Das war nicht umsonst.