„Ich habe große Distanz zur CDU“

INTERVIEW LUKAS WALLRAFF
UND ULRIKE WINKELMANN

taz: Frau Göring-Eckardt, was bedeutet das Ende von Rot-Grün für Sie?

Katrin Göring-Eckardt: Rot-Grün ist noch nicht zu Ende. Wir kämpfen bis zum Wahltag. Was ich sehr bedaure, ist, dass wir jetzt manche Sachen, die wir uns vorgenommen haben, erst einmal nicht weiterführen können.

Was wäre Ihnen denn noch wichtig gewesen?

Innenpolitisch vorrangig, dass man sich die Wirkung von Hartz IV wirklich anschaut und die notwendigen Änderungen durchführt, statt erst einmal nur im Wahlkampf darüber zu reden.

Nach den Terroranschlägen in London wird es im Wahlkampf auch verstärkt um innere Sicherheit gehen. Die Union fordert bereits, „Schutzlücken“ zu schließen. Wie sollten die Grünen darauf reagieren?

Mit Augenmaß nach einer sorgfältigen Analyse. Verbesserungswürdig ist sicherlich die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden von Bund, Ländern und der europäischen Ebene.

Neuen Streit mit Otto Schily befürchten Sie da nicht?

Derzeit habe ich da keine Befürchtungen.

Sie haben einmal gesagt, Rot-Grün sei für Sie nie ein Projekt gewesen. Was denn dann?

Es ging darum, regierungsfähig zu werden, nicht nur Opposition zu wollen, und mit der SPD zu regieren, obwohl sich die Grünen ja auch in Abgrenzung zur SPD gegründet haben. Für mich, die ich an dieser Gründung nicht beteiligt war, ist es eine Koalition – eine erfolgreiche mit gesellschaftlichen und ökologischen Veränderungen, die nur in dieser Konstellation möglich sind.

Ihr ostdeutscher Parteifreund Werner Schulz findet, die Grünen brauchten jetzt eine „Äquidistanz“ zu SPD und CDU.

Ich weiß nicht, wie er sich das vorstellt, wenn Sie sich die aktuellen Programme anschauen. Ich habe jedenfalls eine große Distanz zu einer Partei, die wie die CDU neue Atomprogramme und Kopfpauschalen will.

Oha. Bisher galten gerade Sie als die personifizierte schwarz-grüne Perspektive Ihrer Partei.

Ich habe das selbst nie gesagt oder befördert.

Ach nein? Sie haben vor zwei Jahren über die Koalition mit der SPD gesagt: „Geht es nur so, oder gibt es auch andere Möglichkeiten?“ Für Sie sei das „keine ideologische Frage“.

Das ist es für mich auch heute nicht. Aber je länger ich die CDU beobachte, desto weniger Übereinstimmungen fallen mir ein. Mit Persönlichkeiten wie Rita Süssmuth oder anderen gab es gewisse Anknüpfungspunkte. Aber die CDU hat sich in eine ganz andere Richtung entwickelt. Deshalb sehe ich keine Konsensmöglichkeiten, auch und gerade nicht bei den Werten – nicht bei der Umwelt, nicht bei der Gentechnik, nicht bei Stammzellen oder in der Kinderpolitik.

Wenn Sie ab September in Bund und Ländern überall in der Opposition sitzen, wird die schwarz-grüne Option für manche verlockend sein. Das machen Ihre Parteifreunde in Baden-Württemberg, wo im kommenden Frühjahr gewählt wird, doch jetzt schon deutlich.

Das ist allein deren Sache. Ich halte derzeit aber in Stuttgart eine solche Konstellation schon mathematisch für unwahrscheinlicher als alles andere. Warum sollte Ministerpräsident Oettinger es sich mit den Grünen schwer machen, wenn er es mit der FDP leicht haben kann?

Wenn Sie Schwarz-Grün so skeptisch sehen: Was bedeutet es dann, wenn Sie sich als „unideologisch“ bezeichnen?

Unideologisch heißt für mich, dass die Grünen nicht in den traditionellen Schemata denken. Bei Wertefragen sind viele von uns eher konservativ. Bei Gerechtigkeitsfragen sind wir links. Dabei geht es uns um materielle Verteilungsfragen, auch um Teilhabegerechtigkeit und die Gerechtigkeit zwischen den Generationen. Wir setzen uns beispielsweise dafür ein, dass insbesondere Kinder aus ärmeren Familien Zugang zu Bildung, Sport und Kultur haben. Dass wir nicht in starren Schablonen denken, ist eines unserer Erfolgsrezepte.

Erfolgsrezepte? Momentan würde Rot-Grün zusammen nur 33 Prozent bekommen. Damit landen Sie in der Opposition.

Gewählt wird wahrscheinlich im September. Bis dahin wird gekämpft. Wir haben ziemlich stabile Umfragewerte um die 8 Prozent. Für die SPD ist es jedoch eine schwierige Situation. Sie hatte zu wenig Vorbereitungszeit, sich und ihre Wähler auf die Reformen einzustellen.

Ist das rot-grüne Hauptproblem wirklich das Unverständnis der SPD-Wähler für Reformen?

Nein, es ist generell schwierig, das Land auf Probleme wie den demografischen Wandel einzustellen, nachdem diese Probleme so lange verschlafen wurden.

Rot-Grün wird wegen der Gesundheitsreform und Hartz IV abgewählt, die haben nichts mit Demografie zu tun.

Natürlich hatte die Gesundheitsreform mit Demografie zu tun, und sie muss in Richtung Bürgerversicherung weitergehen. Außerdem haben wir im Jahr 2000 eine Rentenreform gemacht, da wird der Zusammenhang nun wirklich offensichtlich. Aber die Rahmenbedingungen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit mussten auch auf den Faktor Globalisierung eingestellt werden. Die dafür nötigen Reformen haben viele Menschen hart getroffen. Aber es waren nicht wir, es war die Union, die sie im Vermittlungsausschuss verschärft hat. Und es war die Union, die verhindert hat, dass der Staat auf der anderen Seite mehr Mittel für Bildung und Forschung bekommt, etwa durch die Abschaffung der Eigenheimzulage.

Das Geld fehlt vor allem wegen Ihrer massiven Steuersenkungen. Ihr grüner Sozialpolitiker Markus Kurth sagt, man habe den Unternehmen Wünsche erfüllt, damit sie Arbeitsplätze schaffen, aber diese Rechnung sei nicht aufgegangen.

Man kann die Schaffung von Arbeitsplätzen nicht ausrechnen, sondern nur die Rahmenbedingungen dafür schaffen. Wir haben die Steuern gesenkt, das ist richtig, aber für alle Einkommensgruppen, vor allem auch die unteren.

Sie halten die Steuersenkungen nach wie vor für richtig?

Man kann sich jetzt lange überlegen, ob es so schlau war, Steuern und Lohnnebenkosten gleichzeitig senken zu wollen. Doch ich hätte in den Debatten 1998, 1999, aber auch 2002 den sehen wollen, der sich zugetraut hätte, auf die Steuersenkungen zunächst zu verzichten. Der große Fehler war, dass wir den Selbstfinanzierungseffekt über- und die Subventionsabbaublockade im Bundesrat unterschätzt haben.

In ihrem Wahlprogramm verzichten die Grünen jetzt auf weitere Steuersenkungen. Stattdessen nennen sie sich „modern links“ und kündigen höhere Steuern für Spitzenverdiener an. Ist das nur eine taktische Reaktion auf die Konkurrenz durch die Linkspartei?

Nein, die Angleichung der Alg-II-Regelsätze zwischen Ost und West etwa haben wir schon letztes Jahr gefordert. Das hat nichts mit Anbiedern an linke Wähler zu tun. Man kann doch nicht sagen: Weil es Lafontaine jetzt gibt, dürfen wir nicht mehr darüber reden, was wir wollen. Es waren die Grünen, die die Ärmsten immer im Blick hatten: Wir haben das Grundsicherungskonzept entwickelt …

das vorsah, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe auf einem höheren Niveau als dem der Sozialhilfe zusammenzulegen.

Ja, aber wir haben vor allem vertreten, dass es Zugänge zum Arbeitsmarkt geben muss. Das aber ist der Teil der Arbeitsmarktreform, der am allerschlechtesten umgesetzt worden ist. Es ist dramatisch, dass Hartz IV nun acht Milliarden mehr kostet als von den zuständigen Ministerien zuvor berechnet. Das ist eine nur schwer nachvollziehbare Fehlkalkulation und macht die finanziellen Spielräume noch enger.

Ist eine Erhöhung des Alg-II-Regelsatzes von derzeit 345 Euro, wie sie einige Grüne fordern, also unrealistisch?

In erster Linie sollte es um die Besserstellung der Kinder gehen. Wenn Kinder vom Mittagessen abgemeldet werden, ist das genau das Gegenteil von dem, was ich will. Wir sollten aber nichts beschließen, ohne zu sagen, wie es bezahlt werden soll.

Wie bewerten Sie das Auftreten von Joschka Fischer in den letzten Wochen?

Ich finde es sehr gut, wie er die Spitzenkandidatur angenommen hat. Ich freue mich, dass er zeigt, dass er das wirklich will und dass er das mit ziemlichem Furor tut. Es macht Spaß, da dazuzugehören.

Wenn Fischer Fraktionschef wird, ist neben ihm nur noch ein Platz frei. Um den müssen Sie dann mit so populären Frauen wie Renate Künast und Bärbel Höhn konkurrieren.

Fischer hat gesagt, dass er den Fraktionsvorsitz reizvoll findet. Das kann ich gut verstehen. Er ist mal Fraktionsvorsitzender gewesen, ich bin das gerade und teile das. Die Spekulationen, wer wird was, überlasse ich den Medien.

Aber Fraktionsvorsitzende wollen Sie bleiben?

Ich bin es gerne. Alles weitere können Sie mich am 19. September fragen.