„Wir müssen das Recht auf Nahrung durchsetzen“

Der Schuldenerlass ist erst der Anfang, sagt Renate Künast. EU und USA müssen die Agrarsubventionen verringern, um den Bauern in den ärmsten Ländern eine Chance zu geben

taz: Frau Künast, die G-8-Länder erlassen Schulden, wollen mehr Hilfe leisten und die Märkte öffnen. Reicht das?

Renate Künast: Es gibt dadurch für die Entwicklungsländer eine gewisse finanzielle und damit auch wirtschaftliche Entspannung – sofern den Beschlüssen wirklich Taten folgen. Aber damit sind wir längst nicht fertig. Wir müssen viel weiter gehen mit den Agrarreformen und den in der Welthandelsorganisation gemachten Angeboten, und wir müssen das Recht auf Nahrung durchsetzen.

Das heißt, die EU muss ihre Überproduktion beenden?

Genau. Die Agrarsubventionen sollen nach jetziger Planung auf 35 Prozent des EU-Haushalts gesenkt werden. Wir können aber deutlich unter 30 Prozent kommen. Dafür müssen wir die handelsverzerrenden Stützungsmaßnahmen und vor allem die Exportsubventionen abschaffen, mit denen Agrarüberschüsse zu Dumpingpreisen auf den Weltmarkt gedrückt werden. Der nächste wichtige Schritt ist, dass die Direktzahlungen an Landwirte mehr an gesellschaftliche Leistungen wie die Schaffung von Arbeitsplätzen oder ökologische Aspekte geknüpft werden.

Die EU hat das Ende der Exportsubventionen und die Senkung der Zuckerbeihilfen angekündigt. Die USA stellen den Abbau der Baumwollsubventionen in Aussicht. Sind die G-8-Länder endlich bereit, sich mit ihren Bauernlobbys anzulegen?

Das sind positive Zeichen. Die Frage ist aber, ob es am Ende alle so meinen, wie sie es sagen. Auch Bush muss seine Wahlen im Weizengürtel und den Baumwolle anbauenden Südstaaten gewinnen. Da muss bei Bush noch weiter viel Druck gemacht werden.

Von Blair und Bush hört man, dass sie sich für einen Abbau der Agrarsubventionen einsetzen, aber nicht von Gerhard Schröder?

Am Ende zählen nicht die Worte, sondern die Taten.

Vertritt der Kanzler offensiv die Reformen?

Davon gehe ich aus. Bei der Bereitschaft zum Subventionsabbau waren Deutschland und die EU stets weiter als die Amerikaner, die sich das jetzt auf die Fahne geschrieben haben.

Was fordern Sie?

Geld allein reicht nicht. Auch in den Entwicklungsländern muss etwas passieren. Einerseits müssen die Entwicklungsländer jetzt entsprechende Konzepte auflegen, wie sie das Recht auf Nahrung und die Ideen der guten Regierungsführung umsetzen. Das geht von der Schulspeisung über Dürre-Frühwarnsysteme bis zu Frauenrechten und Korruptionsbekämpfung. Aber die Geberländer müssen auch dazu stehen und nicht durch Nahrungsmittelhilfe ihre Überschüsse loswerden oder sich durch Korruption elegant in neue Märkte einkaufen. Das alles gehört zwingend zusammen. Es darf nicht am Ende stehen, dass man so tut, als hätte man Gutes getan, während in Wirklichkeit neue Abhängigkeiten zementiert werden.

INTERVIEW: NICOLA LIEBERT