Verschärfung der Antiterrorgesetze in Sicht

Britische Geheimdienstler klagen seit langem: Wir wissen zu wenig über unsere Islamisten. Jetzt finden sie damit eventuell Gehör

BERLIN taz ■ Auf den ersten Blick erscheint es fahrlässig. Vor etwas über einem Monat stufte der britische Geheimdienst seine Terrorwarnung für London um eine Stufe herunter: „substanziell“ statt „generalisiert ernst“. Bedeutet das, dass die Behörden nicht aufgepasst haben, und wurden dadurch die Anschläge vom 7. Juli möglich?

Die britischen Behörden weisen das zurück. Die Herabstufung von der im Frühjahr verfügten Sicherheitsstufe 3 auf Sicherheitsstufe 4 – bei insgesamt 7 – habe überhaupt keinen Unterschied gemacht, betonte Londons Polizeichef Ian Blair gestern. Experten geben ihm Recht.

Die Wortwahl von Großbritanniens Innenminister Charles Clarke in dieser Frage verrät dennoch eine gewisse Scham. Man habe keine Informationen ignoriert, weil mein keine gehabt habe, die man hätte ignorieren können, lautet Clarkes Linie. „Wir glauben nicht, dass wir irgendwas verpasst haben“, sagte der Minister. Die Anschläge seien „aus heiterem Himmel gekommen“.

Das ist eine erstaunliche Aussage in einer Stadt, die seit Jahren mit Terroranschlägen rechnet, deren Sicherheitsdienste immer wieder entsprechende Übungen veranstalten, Alarm ausrufen, „terroristische Zellen“ ausheben und das Vereiteln von Anschlagsplänen verkünden. Dass immer mehr muslimische Briten im Irak aufseiten der Rebellen gefunden werden, sorgt seit einigen Wochen für Alarmstimmung. Erst vor zwei Wochen erklärte Ken Jones, Vorsitzender der Anti-Terror-Arbeitsgruppe der britischen Polizeichefs, es sei jetzt unvermeidlich, dass Großbritannien zur „Zielscheibe“ werde.

Die Geheimdienste drängen daher schon lange auf die Ausweitung ihrer Überwachungsmöglichkeiten. Geheimdienstler schätzen die Zahl britischer Staatsbürger, die Zeit in Al-Qaida-Trainingslagern im Ausland verbracht haben, auf bis zu 3.000 – aber nur 200 sind der Polizei namentlich bekannt.

Die Regierung von Premierminister Tony Blair arbeitet bereits an der Revision der geltenden Gesetze zur inneren Sicherheit. Eine Überarbeitung der Antiterrorgesetze aus dem Jahr 2000 und der Bestätigung der Notgesetzgebung vom Herbst 2001, die sonst im November 2006 auslaufen, steht an.

Dabei studiert das Innenministerium nach eigenen Angaben „neue Straftatbestände, die helfen, vermutete Terroristen vor Gericht zu bringen“. Die Ideen reichen von der Einführung erweiterter Möglichkeiten zur Verwendung vertraulicher Beweismittel vor Gericht bis hin zu einem neuen Straftatbestand namens „Akte in Vorbereitung von Terrorismus“. Grund ist, dass die Antiterrorgesetze seit dem 11. September 2001 zu 702 Festnahmen in Großbritannien geführt haben – aber nur zu 17 Verurteilungen. 2004 etwa gab es 162 Festnahmen, aber nur in 19 Fällen kam es überhaupt zu einer Anklage.

Was die polizeiliche Arbeit im engeren Sinne angeht, waren zuletzt eher wieder Lockerungen in Sicht. Der von der Regierung als Gutachter bestellte Lordrichter Carlile, der jedes Jahr die Anwendung der Antiterrorgesetze überprüft, machte dieses Jahr eine Reihe von Liberalisierungsvorschlägen. Die Polizei könnte die Anwendung ihrer neuen Befugnis, einzelne Gebiete befristet und ohne Begründung zur Sperrzone zu erklären und dort alle Menschen zu durchsuchen, „ohne erhebliches Risiko um mindestens 50 Prozent reduzieren“, schrieb Carlile. 2004 griff die Polizei in London 21-mal zu dieser extremen Maßnahme. DOMINIC JOHNSON