Ermittlungen im Dunkeln

Polizei hat bei King’s Cross Schwierigkeiten, an den Anschlagsort vorzudringen. Über die Täter wird bisher nur spekuliert

VON DOMINIC JOHNSON

Zumindest nach außen hin tappt die Londoner Polizei noch im Dunkeln, was die Urheberschaft der Terroranschläge vom Donnerstag angeht. Polizeichef Ian Blair sprach gestern in London auf einer Pressekonferenz von einer „sehr komplexen und langwierigen Ermittlung“ und warnte: „Es sind nicht die Sicherheitsbehörden und Geheimdienste, die den Terror besiegen können. Es ist die Gesellschaft.“

Bis gestern Mittag zählte die Polizei über 50 Tote, wobei diese Bilanz immer noch vorläufig war. Es gab 700 Verletzte, davon 22 in kritischem Zustand. Der schwierigste der vier Tatorte war der des dritten U-Bahn-Anschlags, zwischen King’s Cross und Russell Square, wo forensische Ermittler bis gestern Mittag immer noch nicht zum Anschlagsort selbst vorgedrungen waren. Zwar seien alle Überlebenden aus dem Tunnel herausgeholt worden, die Leichen aber lägen noch an der Explosionsstelle, bestätigte die Polizei. „Wir müssen uns dem U-Bahn-Wagen noch nähern“, sagte Polizeichef Blair. „Ich bitte alle um Geduld.“ Der betroffene U-Bahn-Tunnel dort liegt außerordentlich tief unter der Erde und ist sehr eng; er sei bei der Explosion beschädigt worden und es bestehe Einsturzgefahr, erklärten die dort tätigen Rettungsdienste.

Die Zahl von 21 Toten war in King’s Cross bereits am Donnerstag bestätigt worden; weitere 20 wurden befürchtet, berichteten gestern Londoner Zeitungen. Überlebende erzählten, nach der Explosion seien sofort die Lichter in der U-Bahn ausgegangen, die Luft habe sich mit beißendem Rauch gefüllt und die Türen seien nicht aufgegangen. Inmitten von Rauch und Flammen hätten die mehreren hundert Passagiere dann schließlich den Weg zurück zur U-Bahn-Station gefunden. Es dauerte bis zu einer halben Stunde, bevor die letzten Überlebenden aus dem noch qualmenden Zug gerettet werden konnten.

Die Ermittlungen in dem bei Tavistock Place in die Luft gesprengten Bus gestalteten sich ebenfalls schwierig, so Polizeichef Blair weiter. Es gebe jedoch „absolut keinerlei Hinweis darauf“, dass es sich bei diesem Anschlag um einen Selbstmordanschlag gehandelt habe, „obwohl wir zum jetzigen Zeitpunkt nichts ausschließen können“. In britischen Medien wird ein Fahrgast des betroffenen Busses zitiert, der kurz vor der Explosion Verdacht schöpfte und ausstieg, nachdem er einen großen jungen Mann beobachtet hatte, der ständig nervös in seiner Tasche kramte. Der Bus flog wenige Sekunden später in die Luft.

Alle vier Bomben, so präzisierte Einsatzleiter Andy Hayman, wogen weniger als zehn Pfund und hätten damit in Rucksäcken transportiert werden können. Die drei U-Bahn-Bomben explodierten auf dem Boden der Waggons.

Die Polizei bestätigte noch einmal, dass es nur vier Anschläge gegeben habe. Berichte über drei explodierte Busse seien darauf zurückzuführen, dass die Polizei in zwei Fällen „kontrollierte Explosionen“ durchgeführt habe.

Über die Täter wird derzeit nur spekuliert. Es gebe „keine spezifischen“ Hinweise auf eine Verbindung zu al-Qaida, versuchte Ian Blair gestern entsprechende Mutmaßungen zu dämpfen – die er am Vortag selbst geweckt hatte, als er gesagt hatte, die Anschläge seien typisch für al-Qaida. Auch die Echtheit des im Internet zirkulierenden Bekennerschreibens ist noch nicht festgestellt.

„Es ist wahrscheinlich, dass die (für die Anschläge verantwortliche) Zelle noch existiert“, warnte der Polizeichef. „Ob sie noch im Land ist, wissen wir nicht, und wir müssen wachsam bleiben.“ Er verlangte erhöhte Polizeipräsenz in ganz Großbritannien. Berichte darüber, dass die Attentäter aus Mittelengland nach London gereist seien, wollte er nicht bestätigen.