Die Ohnmacht der Opposition

Nordrhein-Westfalens Sozialdemokraten suchen auf ihrem ersten Landesparteitag nach dem bitteren Machtverlust ihre neue Rolle. Würstchen und Eis interessieren mehr als Debatten um eigene Fehler

AUS BOCHUMMARTIN TEIGELER

Zwölf Sekunden Applaus. Zwölf Sekunden leiser Applaus. Das bleibt von Harald Schartau übrig am Samstag, seinem letzten Tag als Vorsitzender der NRW-SPD. Mit den Worten „Glück auf“ beendet der gescheiterte Chef der nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten gerade seine kurze Abschiedsrede. „Wir sind nach 39 Jahren Opposition“, sagt er. Seine Rücktrittsentscheidung trage dem Ergebnis der Landtagswahl vom 22. Mai Rechnung, sagt Schartau. Er verlässt die Bühne. Doch dann dreht sich Harald Schartau um. Ein Comeback? Nein, der Ex-Vorsitzende hat nur vergessen, einen Sitzungsleiter zu ernennen, der die Tagesordnung durchmoderiert. Ein paar Journalisten lachen, als sie Schartau von der Bühne stapfen sehen und wieder zurück. Schließlich sitzt Schartau wieder auf seinem Stuhl, ein einfacher Delegierter unter 450 Genossinnen und Genossen.

Bochum. RuhrCongress-Zentrum. Die NRW-SPD hält erstmals seit den 1960er Jahren einen Landesparteitag als Oppositionspartei ab. Doch niemand regt sich darüber auf. „So ist es halt, alles geht mal vorbei“, sagt ein Delegierter aus dem Münsterland. Die tatsächliche Oppositionszeit der SPD in NRW dauert nicht einmal zwei Monate. Aber das routinierte Verhalten der Genossen lässt auf eine gefühlte Oppositionsära von Jahren schließen. Vor dem Gebäude stehen Bundestagsabgeordnete Schlange. Die Sonne scheint, sie kaufen Vanille-Eis beim fahrenden Eismann, der Station macht bei der SPD.

Die neue oppositionelle Gelassenheit der NRW-SPD: Einst mächtige Kabinettsmitglieder wie Harald Schartau oder der frühere Energieminister Axel Horstmann schlendern ohne Bodyguards und Beraterstäbe einsam über die Bochumer Parteitagsflure. Nur der abgewählte Ministerpräsident Peer Steinbrück eilt noch mit dem optimistischen Stechschritt des Machers in den Saal. Aber auf der Bühne ist auch für ihn kein Platz. Die einstmals Wichtigen müssen allesamt unten Platz nehmen bei den Delegierten. Sogar SPD-Chef Franz Müntefering, der als einziger noch Hof hält wie ein Mächtiger. Ein älterer Delegierte aus Ostwestfalen lässt sich mit Münte fotografieren. Münte lacht. Der Mann lacht. Franz Müntefering geht weiter durch die Reihen. Er schüttelt Hände. Hände strecken sich nach ihm aus.

Im Foyer unterhält sich Kajo Wasserhövel, der coole Bundesgeschäftsführer der SPD. Er soll jetzt einen Bundestagswahlkampf führen mit diesen gerade abgewählten NRW-Sozialdemokraten. Ganz hinten im klimatisierten Parteitagssaal steht ein Mann mit Anzug und Fliege. Professor Karl Lauterbach – Gesundheitsexperte, Regierungsberater und seit neuestem SPD-Bundestagskandidat in Köln – macht im Gespräch zupackende Bewegungen mit den Händen. Er trägt braune Sneakers. Er ist eine Nachwuchshoffnung der Sozialdemokraten. Nein, auf der Landesreserveliste für die Bundestagswahl lässt er sich nicht absichern. „Ich will den Wahlkreis direkt gewinnen“, sagt er. So viel Optimismus müsse man doch haben.

Jochen Dieckmann, der neue Landesvorsitzende, hält seine Antrittsrede. Er sagt Sätze wie: „Der Weg zu einer Mehrheit in NRW ist lang und es geht ziemlich steil bergauf.“ Dieckmanns nüchtern-sachlicher Vortragsstil erinnert ein wenig an die Rhetorik Rudolf Scharpings. Kein einziges Mal hebt Dieckmann die Stimme. Aber vielleicht braucht die NRW-SPD jetzt genau so einen Vorsitzenden. Solide. Langweilig. Dieckmann bekommt ein gutes Ergebnis: 96 Prozent.

Die Aussprache beginnt. Nur wenige Redner melden sich zu Wort. Erstmals wird über die Ursachen der Wahlniederlage vom 22. Mai gesprochen. „Wir hätten die alten Parteibezirke nicht auflösen sollen“, sagt der Delegierte Alexander von Cube. Das habe die Kampagnenfähigkeit der NRW-SPD geschwächt. Jürgen Büssow, Regierungspräsident von Düsseldorf, sagt: „Unsere Bildungspolitik war nicht in allen Teilen gut.“ Das habe doch die PISA-Studie gezeigt. Die meisten Delegierten interessieren sich nicht für die Debatte. Sie verlassen den Saal und gehen Mittagessen. Es gibt Bockwurst mit Senf.

inland SEITE 6