ZEHN JAHRE SREBRENICA: DIE VERANTWORTLICHEN BLEIBEN UNBEHELLIGT
: Heuchelei verhöhnt Opfer

Heute, zehn Jahre danach, meint man, alles über das Massaker von Srebrenica zu wissen. Die Verantwortlichkeiten scheinen klargestellt. Nicht zuletzt die Verhandlungen vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag gegen hohe serbische Offiziere deckten die Mechanismen der serbischen Verbrechen auf. Die politischen und militärischen Apparate der Serben unter Radovan Karadžić und Ratko Mladić planten das Massaker, führten es durch und verwischten seine Spuren. Man denke nur an die Verlagerung von Massengräbern nach dem Friedensvertrag von Dayton Ende 1995.

Doch dass die Geheimdienste der Nato-Staaten über die serbischen Pläne informiert waren, daran wollen die Politiker diese Staaten heute weniger gerne erinnert werden. Und auch nicht an die inzwischen gesicherten Erkenntnisse über die politisch und militärisch Verantwortlichen der Vereinten Nationen, Yasushi Akashi und General Bernard Janvier, die alle jene in den internationalen Apparaten blockierten, die der mörderischen Offensive der Serben auf die UN-Schutzzone mit einer Militäraktion entgegentreten wollten.

Noch weniger weiß die Öffentlichkeit über die Signale, die ausländische Institutionen vorher ausgesandt hatten. So musste die Resolution des deutschen Bundestages zehn Tage vor dem Massaker, keinesfalls militärisch in Srebrenica einzugreifen, zusammen mit ähnlichen Signalen aus den damals für den Konflikt noch weit wichtigeren Staaten Großbritannien und Frankreich, Mladić direkt ermutigen, seine Pläne umzusetzen. Und auch die damalige bosnisch-muslimische Führung unter Alija Izetbegović muss sich fragen lassen, warum die Kommandeure der Verteidiger Srebrenicas, der bosnischen Armee, vier Wochen vor der Offensive der Serben aus Srebrenica abgezogen wurden. Hatte man auf allen Seiten die Enklaven Srebrenica und Zepa schon aufgegeben? Gehörte das zu dem damals schon insgeheim verhandelten internationalen „Friedensplan“?

Damals involvierte Diplomaten und Politiker schweigen bis heute. Welch ein Zufall: Mladić und Karadžić, die reden könnten, werden nicht gefangen. Akashi und Janvier müssen nicht befürchten, in eigener Sache von einem internationalen Gericht angehört zu werden. Keine Regierung wird dies fordern. Welche Verhöhnung der Opfer, wenn zum zehnten Jahrestag des Massakers heute wieder Diplomaten und Politiker vieler Länder Trauer tragen – und keiner von ihnen fordert, alle für das Massaker Verantwortlichen, auch jene in den internationalen Institutionen, für ihre Tatenlosigkeit zur Rechenschaft zu ziehen. ERICH RATHFELDER