„In Deutsch ließ ich mich vom Stuhl fallen“

Mit 17 Jahren veröffentlichte Pascal Hermeler sein erstes Buch. Das ist vier Jahre her. Dabei gehörte Deutsch nie zu seinen Lieblingsfächern. Vorm Lesen und Schreiben drückte er sich, denn der Autor ist Legastheniker. Wörter und Sätze verwandeln sich vor seinen Augen in ein „riesiges, fieses Mosaik“

INTERVIEW CHRISTINE STÖCKEL

Herr Hermeler, lieben Sie das Schreiben?

Pascal Hermeler: Ja, natürlich!

Und warum lieben Sie es?

Weil das Schreiben für mich ein Ventil ist, um Emotionen herauszulassen. Und es ist für mich ein unheimlich wichtiges Kommunikationsmittel geworden.

Wie haben Sie als Legastheniker Ihre Liebe zur Literatur entdeckt?

Ich habe gelernt, das eigentliche Laster in etwas Positives zu verwandeln. Zuerst habe ich in dieser unleserlichen Legasthenikersprache geschrieben, die nur meine Mutter lesen konnte. Irgendwann sollte aus dem Schreiben mehr werden. Ich wollte mich verewigen.

Wann wurde Ihre Legasthenie bemerkt?

In der Grundschulzeit. Meine Lehrer nahmen die Lernschwäche kaum wahr. Sie haben nur gesagt: „Der Junge ist dumm, der muss auf eine Sonderschule.“ Meine Mutter hat das nicht zugelassen und mich zu einem Psychologen geschickt. Dort wurden Intelligenztests gemacht, die mir einen ganz akzeptablen IQ bescheinigten. Allerdings wurde eine Wahrnehmungsstörung festgestellt, die die Ursache für meine Legasthenie ist.

Wie haben die Wörter für Sie ausgesehen?

Wie ein riesiges, fieses Mosaik. Die Buchstaben flogen für mich immer übers ganze Blatt und ich musste sie wieder sortieren, damit sich erst die Wörter und dann eine Geschichte ergaben.

Woran erinnern Sie sich, wenn Sie an Ihren Deutschunterricht zurückdenken?

Im Unterricht ließ ich mich irgendwann vom Stuhl fallen. Ich fing an zu schreien und habe gestört, bis ich die Klasse verlassen musste. Nur damit ich nicht vorlesen musste. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich noch nicht mit der Legasthenie umgehen.

Deutsch war also nicht gerade Ihr Lieblingsfach?

Am Anfang nicht, aber es wurde mit der Zeit zu meinem Lieblingsfach. Nachdem ich gelernt hatte, dass es gar nicht so sehr um die Rechtschreibung ging als vielmehr darum, Geschichten zu erfinden und mit der Sprache zu spielen. Erst dadurch wurde das Schreiben etwas sehr Wichtiges für mich.

Wenn es nicht die Schule war, wer hat Sie dann unterstützt?

Meine Mutter. Um mit mir das zu trainieren, was mir Schule und Staat nicht geben konnten, hat sie eine Ausbildung zur Lerntherapeutin absolviert. Sie hat mir Lesen und Schreiben beigebracht. Und das über Jahre hinweg, jeden Tag nach der Schule.

Mit 17 Jahren haben Sie das Buch „Shawn Stone: Die Macht der Magie“ veröffentlich. Wie haben Sie Ihre Schwäche in eine Stärke verwandelt?

Das war ja nicht direkt gewollt. Ich habe nicht gesagt: Komm, jetzt schreibst du mal ein Buch. Irgendwann habe ich einfach meine erste Geschichte begonnen. Das Manuskript habe ich an sieben Verlage geschickt, drei haben geantwortet, einen habe ich ausgewählt.

Was hat Ihr Lektor gesagt, als er das Manuskript sah?

Der Lektor war ziemlich verzweifelt. Das Buch wurde von meinen Eltern und drei Lektoren korrigiert, trotzdem waren noch viele Fehler im Text. Letztens habe ich eine Rezension gelesen, in der es um die Qualität des Buches ging. Der Kritiker hielt mich für einen Analphabeten und beschwerte sich, dass der Verlag kein Geld in ein Lektorat investiert hätte. Obwohl das Buch so oft korrigiert wurde, war das Ding noch immer voller Fehler.

Wie wichtig ist eine gute Rechtschreibung?

Für mich privat ist es Jacke wie Hose. Allerdings organisiere ich heute unter anderem Kulturveranstaltungen, wie Poetryslams, und muss Briefe, Rechnungen, Angebote und den ganzen Kram schreiben. Da bekomme ich natürlich sofort Ärger, wenn die voller Fehler sind. Die korrigiert vorher meine Familie.

War die Legasthenie wichtig für Ihren Bildungsweg?

Ich wäre ohne sie nicht da, wo ich heute bin, aber ich habe die Legasthenie immer gehasst. Wenn ich heute gestresst bin, kommt sie wieder zum Vorschein. Zum Beispiel wenn es laut ist oder ich mich in einer engen Räumlichkeit befinde. Eine Legasthenie ist nichts, was du loswirst. Du versuchst, sie dein Leben lang zu verschieben und zu vertuschen.

Was braucht jemand, um solche Umwege zu gehen wie Sie?

Man muss das Glück haben, die richtigen Leute zu treffen. Wäre es bei mir anders gelaufen, hätte ich zu einem dieser Schüler werden können, der mit der Pumpgun durch die Schule läuft. Ich hatte das Glück, von meiner Mutter unterstützt zu werden. Und ich hatte immer diese verdammte Arroganz, durch die ich über den Dingen stand. Die hat mich vor dem Durchdrehen bewahrt.

Was lesen Sie gerade?

Ich bin eine Antileseratte und lese ungern. Es ist anstrengend für mich. Ich muss mich unheimlich konzentrieren und bekomme Kopfschmerzen. Da schaue ich lieber einen Film oder höre mir die Geschichte an.

Eine Langfassung des Interviews steht auf kulturjournalismus.de