Ausreißen ins süße Leben

Walter Gulielminetti hat eine Top-Ausbildung, mit der er gutes Geld verdiente. Was er damit machte? Er warf sie einfach weg und zog auf eine Insel

VON CLÉMENT DE DRAVO

Der Zahntechniker Walter Gulielminetti hat seinen Beruf aufgegeben, hat seine Ausbildung weggeworfen und ist mit 36 Jahren in Rente gegangen. Er wollte nicht mehr schuften, nicht mehr 60 Stunden in der Woche. Er hielt es nicht mehr aus, dass sein privates Leben nur noch aus Essen und Schlafen bestand. Der Entschluss ist ihm nicht leicht gefallen. Es hat gedauert, bis er sagte: „Genug ist genug, so geht es nicht weiter. Ich lebe nur noch, um zu arbeiten, und kann nicht mal mein verdientes Geld ausgeben.“

Das war vor 30 Jahren. Heute ist Walter Gulielminetti 57. Er lebt die meiste Zeit des Jahres auf Gran Canaria und baut dort Orangen und Papaya an. Dass er heute häufig lacht und Witze macht, zeigt, dass er den Schritt, den er damals getan hat, nicht bereut. Weg mit der Bildung, weg mit dem Beruf; einfach ausreißen. Wenn er seine Geschichte erzählt, bekommt man eine Ahnung, was sie für ihn bedeutet.

Er hat Zahntechniker gelernt: Eine Ausbildung, die er selbst gewählt hat. „Basteln und Tüfteln war mir bereits als Kind ein sehr wichtiger Zeitvertreib. Vielleicht lagen solche Fähigkeiten sogar in der Familie, da meine Schwester auch handwerklich begabt war“, sagt Walter Gulielminetti. Zudem hatte er eine Schwägerin, die als Zahntechnikerin arbeitete.

Walter Gulielminetti wuchs in München auf, er hat vier ältere Geschwister. Während sie in der Installationsfirma der Eltern mithelfen mussten, durfte Walter als jüngster Sohn seinen eigenen Weg gehen.

In der Ausbildung lernte er, wie man aus Gipsmodellen Prothesen für Zähne und Kiefer herstellt: eine Arbeit, die von den Lehrlingen Geschicklichkeit und volle Konzentration verlangt, da ein Fehler in der Fertigung eines maßgeschneiderten Kiefermodells viel Geld kostet. Walter Gulielminetti hat gelernt, präzise zu arbeiten. Er schloss die Ausbildung als einer der Jahrgangsbesten ab.

Abgesehen davon, dass er sich auf ein Gebiet spezialisiert hatte, das wie geschaffen für ihn war, lag es ihm am Herzen, finanziell unabhängig zu sein und gutes Geld zu verdienen. Damit versprach er sich, irgendwann die Welt zu entdecken. Als Kind ist er nie aus München rausgekommen.

Mit 20 erhielt er nach drei Jahren Ausbildung sein Diplom als Zahntechniker. Danach machte er noch seinen Zivildienst und legte das Abitur ab. Dann lernte er einen Zahnarzt kennen, der ihm anbot, in seinem Praxislabor zu arbeiten. Walter Gulielminetti wollte diese einmalige Chance nicht verpassen und blieb in München.

Am Anfang lief alles bestens. Er hatte einen guten Draht zu seinem Arbeitgeber und verdiente nicht schlecht: 4.000 Euro monatlich. Nach sechs Jahren übernahm ein jüngerer Zahnarzt die Leitung des Labors. Sein Credo: „Verdienen Sie mir eine gute Mark!“

Er zwang Walter Gulielminetti, mehr als vorher zu arbeiten. Wenn er nicht mitmachte? Es stünden genug andere Zahntechniker bereit, die ihn jederzeit ersetzen könnten, gab ihm sein Chef zu verstehen. Die Arbeit raubte ihm sein Privatleben, dennoch hat Walter Gulielminetti sieben Jahre durchgehalten. Aber er litt an Schlafstörungen, an Stimmungsschwankungen und wurde depressiv.

Trotzdem wagte er es nie, den Job aufzugeben, da ihn dies zu einer viel größeren Schwierigkeit geführt hätte: Seine finanzielle Sicherheit wäre ihm abhandengekommen. Eine Kündigung kam also nicht infrage, zunächst jedenfalls nicht, bis er eine bessere Ersatzstelle gefunden hätte, so dachte er.

Schon damals machten Sparmaßnahmen in allen Bereichen Furore. Ein guter Job als Zahntechniker grenzte angesichts der Vielzahl von Diplomierten an ein Wunder, weil die Arbeitgeber sich eher einen einzigen gut belastbaren Zahntechniker suchten, der bereit war, viele Zusatzschichten zu übernehmen. Und genau das wollte Walter Gulielminetti nicht mehr.

Seine Familie und Freunde rieten ihm, einen Psychiater aufzusuchen. Die Untersuchung ergab, dass er mit diesem Job seine Gesundheit riskierte. Der Psychiater bestand darauf: Er bräuchte absolute Ruhe, und eine Frühverrentung sei eigentlich das Beste für ihn.

Er kündigte. Sein damaliger Freund, ein Architekt, war oft nach Gran Canaria gereist. Sie kauften sich gemeinsam ein Grundstück mit Plantage, das 70.000 Euro kostete, jeder zahlte die Hälfte, und Walter Gulielminetti zog auf die Insel im Atlantik. Er ist einfach ausgerissen.

Seitdem er auf Gran Canaria lebt, kommt Walter Gulielminetti ab und an zurück nach Deutschland und arbeitet als Tüftler. Er hilft bei Umzügen, montiert Lampen und repariert hoffnungslos kaputte Geräte. Es sprach sich rum, dass er basteln kann. Nun verdient er damit genug, um zu leben und seine Plantage in Gran Canaria zu pflegen.

Er meint, dass ihm nicht nur sein Talent hilft, sondern auch die Präzision, die ihm die Zahntechnik einst abverlangt hat. Aber er sagt auch, dass selbst die beste Ausbildung und ein gut bezahlter Job nicht zwangsläufig zum Glück führen. Er musste beides dafür erst wegwerfen.