die woche in berlin
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Bei den „Querdenken“-Demonstrationen am letzten Wochenende kam es zu Ausschreitungen. Die Labor Berlin GmbH der kommunalen Krankenhäuser Charité und Vivantes drückt sich weiter um eine Tarifbezahlung für alle Beschäftigten. Und „Berlin autofrei“ beendet die Sammlung von Unterschriften – erfolgreich

Eskalation als Zeichen der Schwäche

„Querdenker“ nicht so stark, wie es im Chaos für viele schien

Der „Sommer der Freiheit“ endete am vergangenen Sonntag für etwa 1.000 „Quer­den­ke­r*in­nen“ in Gewahrsam. Wegen der Teilnahme an verbotenen Versammlungen und den Verordnungen zum Infektionsschutz, aber auch wegen des Verdachts des Widerstands und des tätlichen Angriffs wird nun gegen sie ermittelt. An den zahlreichen Versammlungen hatten sich über den ganzen Tag etwa 5.000 De­mons­tran­t*in­nen beteiligt.

Vor genau einem Jahr waren es noch sechsmal so viele – geblieben ist der Bewegung damit nur noch der Kern ihrer Anhänger*innen. Ein Kern allerdings, der trotz der überwiegend bürgerlichen Herkunft zu vielem bereit ist. Die vielen vor allem süddeutschen Aus­flüg­le­r*in­nen mit Tagesrucksack – 60 Prozent der festgenommenen stammten nicht aus Berlin – interessiert weder, ob Demonstrationen verboten sind oder sich ihnen die Polizei in den Weg stellt. Sie stören sich nicht an den internen Querelen und Machtkämpfen bei „Querdenken“, nicht an Reichsbürgervorwürfen gegen deren Gründer Michael Ballweg oder vermeintlicher Veruntreuung von Spenden.

Verblendet nach mehr als einem Jahr Dauerbeschallung durch Szenemedien und Telegramkanäle ist die Überzeugung herangewachsen, Frei­heits­kämp­fe­r*in zu sein. Coronamaßnahmen spielen dabei inhaltlich kaum mehr eine Rolle, es geht gegen („Zwangs-“)Impfungen, gegen die „neue SA“ oder „Gestapo“ (Polizei) und die „Diktatur“ (Regierung). Vergeltungsfantasien gegen Geg­ne­r*in­nen finden über die Kanäle massenhafte Verbreitung. Radikal ist die Bewegung längst auch ohne organisierte Rechtsextreme, die zuletzt kein bedeutender Teil mehr waren. Die Rufe nach „Liebe“ und „Frieden“ stecken voller Hass, voller Verachtung für das demokratische System.

Die Eskalation vom Sonntag war von „Querdenken“ genauso geplant. Versammlungsverbote wurden durch die Ankündigung, sich an Auflagen nicht zu halten, regelrecht gesucht. Mit möglichst viel spontanen und auch gewaltsamen Aktionen sollte maximale Aufmerksamkeit für eine Bewegung geschaffen werden, deren Bedeutung schwindet und der es nicht mehr gelingt, neue Mitstreiter zu gewinnen. Dass es soweit kommen konnte, ist auch der Polizei anzulasten. Zumindest als sich am Morgen die erste Menge in Charlottenburg sammelte, war sie nicht mit ausreichend Kräften vor Ort, um ein Überrennen zu verhindern. Gegen die zersplitterten Gruppen, die später ständig mobil waren, war dagegen kaum etwas zu machen.

Dass dem Sonntag, entgegen der Ankündigung von Ballweg auch in der Woche weiterzudemonstrieren, nichts folgte, zeigt auch, dass die Bewegung nicht mehr so stark ist, wie es im Chaos für viele schien. Dafür spricht auch die Absage der nächsten Großdemonstration am 29. August. Womöglich bleibt der Rest des Sommer frei – von „Querdenken“.

Erik Peter

Marktwirtschaft schafft keine Tariflöhne

Labor Berlin wehrt sich gegen Tarifbezahlung

Es ist eine schreiende Ungerechtigkeit: In der Labor Berlin GmbH – eine Tochter der kommunalen Krankenhäuser Vivantes und Charité – werden gravierend unterschiedliche Löhne gezahlt. Während einige Beschäftigte von Charité oder Vivantes gestellt werden und deshalb Tariflöhne erhalten, arbeitet ein weiterer Teil direkt für die GmbH. Und weil diese formal von ihren Müttern unabhängig ist, kann eine Tarifbezahlung umgangen werden. Die Folge: Lohnunterschiede von Hunderten Euro, so die Gewerkschaft Verdi.

Das Problem existiert in zahlreichen Tochtergesellschaften von Vivantes, wie etwa der Reinigungsfirma Vivaclean oder der Vivantes Reha. Im Fall von Labor Berlin verweigert die Klinikleitung aber bisher konsequent, die Tarifverhandlungen auch nur aufzunehmen. Derweil betreibt die Labor Berlin-Geschäftsführung nach allem, was bekannt ist, regelrechtes Union-Busting: In „internen Informationskampagnen“ wird behauptet, das ganze Unternehmen ginge durch Tarifbezahlung den Bach runter. Aktive Mit­ar­bei­te­r:in­nen werden wohl beschuldigt, sich für die Entlassung von Kol­le­g:in­nen einzusetzen.

Diese Argumentation ist entlarvend: Wenn das Geschäftsmodell eines Unternehmens bedroht ist, weil es sich Tariflöhne nicht leisten kann, dann ist schließlich das Geschäftsmodell zu hinterfragen – und nicht etwa der Tariflohn. Überhaupt ist völlig unklar, ob die vorgelegte Rechnung stimmt. Grundsätzlich ist ein ordentliches Maß Skepsis geboten, wenn sich Ar­beit­ge­be­r:in­nen gegen Lohnerhöhungen wehren.

Doch in diesem Fall spiegelt die Argumentation tatsächlich einen zen­tralen Glaubenssatz der Krankenhausbewegung; dass sich Gesundheit eben nicht in Marktkategorien pressen lässt. Denn wenn die Ar­beit­ge­be­r:in­nen erklären, es seien die Zwänge des Marktes, die den Tariflohn unmöglich machen – wäre es dann nicht konsequent, den Gesundheitssektor dem Markt zu entziehen?

Letztlich liegt der Ball damit wieder bei der Politik, also bei Rot-Rot-Grün. Doch hier beschränkt man sich auf unterstützende Lippenbekenntnisse, konkret geschehen ist bisher wenig. Es wird ein harter Streik der Beschäftigten nötig sein, um diese Handlungslethargie zu überwinden. Entweder findet Labor Berlin dann doch noch irgendwo Geld – oder die Politik muss das Unternehmen in Mutterkonzern und Tarifbindung zurückholen. Fehlen auch dafür die Moneten, müssen sie beschafft werden – bestenfalls durch Umverteilung.

Timm Kühn

Es ist eine schreiende Un­ge­rech­tig­­­­keit

Timm Kühn über die Labor Berlin GmbH, in der gravierend unterschiedliche Löhne gezahlt werden.

Die Debatte kommt ins Rollen

Volksentscheid „Berlin autofrei“ nimmt die erste Hürde locker

Das Ding rollt: Der Volksentscheid „Berlin autofrei“ hat problemlos die erste Hürde genommen und am Donnerstag nach nur drei Monaten des Sammelns 50.333 Unterschriften bei der Innenverwaltung eingereicht. Wie üblich werden es nach der Prüfung wohl ein paar Tausend weniger sein, die die Behörde als gültig erachtet – die notwendige Zielmarke von 20.000 haben die Mobilitäts-AktivistInnen damit trotzdem weit mehr als verdoppelt.

Alles andere wäre auch erstaunlich gewesen. Ohne die pandemiebedingten Einschränkungen des öffentlichen Lebens hätten vermutlich noch deutlich mehr zum Kugelschreiber gegriffen. Vielleicht wären es nicht ganz so schnell ganz so viele gewesen wie 2016, als der Volksentscheid „Fahrrad“ nach weniger als einem Monat die 100.000er-Marke knackte. Aber das Potenzial an Menschen, die sich nach weniger Blech, Lärm, Feinstaub, Stress und Gefahr auf Berlins Straßen sehnen, ist ausgesprochen groß.

Ob es groß genug ist, um einen Volksentscheid zu bestehen, ist allerdings die Frage. Wenn es 2023 tatsächlich dazu kommen sollte, würde die Autolobby selbstverständlich im Vorfeld aus allen Rohren feuern. Und ohnehin wäre die Mobilisierung all jener, die weiterhin Auto fahren wollen (oder vielleicht auch nur Freunde haben, die das wollen), garantiert. Dass es sich um einen harten Eingriff in vertraute Mobilitätsgewohnheiten handelte, lässt sich ja nicht bestreiten.

Auch wenn die Initiative der Überzeugungskraft ihres Anliegens und ihrem ausgeklügelten Gesetzentwurf vertraut – ausgemachte Sache ist ein Sieg an der Wahlurne keineswegs. Nur mal zur Erinnerung: Der von der FDP betriebene Volksentscheid zum Weiterbetrieb des Flughafens Tegel war erfolgreich, und das besonders in manchen Gegenden, die stark vom TXL-Fluglärm betroffen waren.

Theoretisch könnte es auch noch anders kommen, so wie damals, als sich die InitiatorInnen des Volksentscheids „Fahrrad“ direkt nach der Abgeordnetenhauswahl an einen Tisch mit der neuen, rot-rot-grünen Koalition setzten. Heraus kam dabei das Mobilitätsgesetz, das Volksbegehren wurde nicht weiterverfolgt. Nach der Logik von „Berlin autofrei“ ist das aber eigentlich kein gangbarer Weg, schließlich kritisiert die Initiative, dass der Senat ebendieses Mobilitätsgesetz nicht wirklich ernst nehme.

In jedem Fall stehen Berlin spannende verkehrspolitische Debatten bevor, bei denen sich natürlich auch „Berlin autofrei“ unbequemen Fragen wird stellen müssen. Nicht zuletzt der nach der Umsetzbarkeit: Man muss sich nur mal kurz auf die gedanklich Reise in eine Zukunft begeben, in der private Autos grundsätzlich nicht in der Innenstadt gefahren werden dürfen, es aber eine ganze Menge Ausnahmetatbestände gibt.

Es ist leicht vorstellbar, dass viele Autofahrende hier auch noch das kleinste Zulassungsschlupfloch für sich ausnutzen würden, und sei es über den Umweg eines Familienmitglieds. Um das zu unterbinden und einigermaßen faire Bedingungen für alle zu schaffen, bräuchte es entgegen aller Beteuerungen der Initiative einen gewaltigen Genehmigungs- und Kontrollapparat. Aber wie es auch sei: Die Debatte ist eröffnet.

Claudius Prößer