„Kaum eine Krise endet ohne Blutvergießen“

Der VW-Betriebsrat hat die Privilegien der Manager in Anspruch genommen, findet Wirtschaftspsychologe Oswald Neuberger. Das wird aber abgestraft, weil die Mitarbeiter wollen, dass der Betriebsrat „einer von ihnen“ bleibt

taz: Herr Neuberger, ist es klug, wenn VW seinen Topvorstand Peter Hartz ziehen lässt?

Oswald Neuberger: Wir wissen nicht alles über die Affäre. Womöglich ist da noch einiges im Busch. Der berühmte Manager Jack Welch formulierte über Krisenmanagement fünf Grundsätze, die auch für VW zutreffen.

Und die wären?

Gehen Sie grundsätzlich davon aus, dass es schlimmer ist, als es zunächst wirkt. Zweitens: Nichts bleibt lange ein Geheimnis. Drittens: Die Art, wie Ihr Unternehmen die Krise angeht, wird in denkbar schlechtestem Licht dargestellt. Viertens: Kaum eine Krise endet ohne Blutvergießen. Fünftens: Ihr Unternehmen wird letztlich gestärkt aus der Krise hervorgehen.

Hartz gilt als einer, der innovative Arbeitszeitmodelle durchsetzt. Braucht ihn der Konzern nicht, um die Krise der Marke VW zu lösen?

Hartz hat die Produktionskosten nicht in den Griff bekommen. Die 25,8 Stunden-Woche wurde ohne viel Blutvergießen eingeführt, aber es hat nichts daran geändert, dass VW einen fürstlichen Haustarifvertrag hat. Hartz steht also für die freundliche Art, mit Betriebsräten und Gewerkschaften umzugehen. Es gibt eine Reihe von Leuten, die ein Interesse haben, dass dieses Drama in fünf Akten bei VW jetzt genau so abläuft. Ministerpräsident Wulff gilt nicht gerade als Hartz-Freund.

Wäre die „freundliche Behandlung“ von Betriebsräten eher zu rechtfertigen, wenn Hartz erfolgreicher wäre?

So wie sie im Moment aussieht, hat die Sache ein „Geschmäckle“. Aber das ist auch nichts großartig Neues, weil es unterschiedliche Betriebsratsmodelle gibt. Die modernste Form ist das Komanagement. Die Betriebsräte sind nicht mehr die Gegner des Managements, sondern kooperieren. Dass sich das für beide Seiten lohnen muss, liegt auf der Hand.

Also handelte der Betriebsrat wie ein modernes Management. Ist dann der Vorwurf gerechtfertigt, dass die Kontrolle fehlte?

Was die Abrechnung von Spesen angeht, nein. Würde jeder Einzelbeleg geprüft, käme man gar nicht mehr aus dem Kontrollieren heraus.

Für Manager gibt es Begleitagenturen, die teure Prostituierte vermitteln. Haben die Betriebsräte nachgemacht, was ihnen die Manager vormachten?

So kann man das sehen, aber an die Betriebsräte werden andere Maßstäbe angelegt. Sie sollen einerseits „einer von uns“ sein, andererseits „best of us“. Sie haben eigene Büros, Dienstwagen, Sekretärin und nehmen irgendwann die Privilegien in Anspruch, die die andere Seite auch hat. Aber andererseits gilt: Der Betriebsrat bleibt einer, der aus der Mitte der Belegschaft gewählt wurde. Wenn er „einer von denen“ wird, bringt das Unmut.

Wäre der Skandal auch in anderen Betrieben möglich?

Ja. Alle Menschen sind sündig. Woanders haben die Betriebsräte auch eine starke Stellung.

INTERVIEW: KATHARINA KOUFEN