berliner szenen
: Nicht Mainz und nicht Hannover

Ich war bei meinen beiden Freunden des Herzens gewesen, und als ich ging, war ich glücklich. Noch ziemlich weit von zu Hause entfernt stand ein wunderschönes halbhohes Regal an der Hauswand, heil und ganz sauber. Es würde meine Einrichtung in mehrerer Hinsicht bereichern und am Ende sogar Platz sparen, weil dafür zwei andere Sachen wegkönnten. Leider war es sehr schwer und blöd zu tragen. Als ich an dem Briefkasten mit Spätleerung vorbeikam, stand der männliche Teil eines Pärchens davor und fotografierte ihn mit seinem Handy. Einen Augenblick später bot mir der Mann seine Hilfe an. Er hängte sich das Regal über die Schulter und ließ sich seine Überraschung über das Gewicht nicht anmerken. Seine Frau ging ein paar Schritte hinter uns und telefonierte. Was an dem Briefkasten so knipsenswert gewesen sei, wollte ich wissen. „Ach, da war ein Aufkleber drauf, auf dem ‚Liebesbrief‘ stand, das hat mir gefallen.“

Der Exmann der Frau lebte in Berlin, war aber gerade mit der gemeinsamen Tochter in Italien, und da sie sich gut verstanden, konnten sie beide die Wohnung für ein verlängertes Wochenende nutzen. Er staunte über die vielen Sachen, die am Wegesrand zum Mitnehmen standen. Das sei in Mainz, Hamburg und Hannover, wo er bisher gelebt habe, nicht üblich.

Ich stellte fest, dass er entgegenkommenden Rad­le­r:in­nen auswich, mit dem schweren Regal auf der Schulter! „Entschuldigen Sie, aber in Berlin machen wir Fahr­rad­fah­re­r:in­nen auf dem Gehweg grundsätzlich keinen Platz!“, sagte ich streng. „Wokommwadenndahin?!“ Er nickte und lächelte einsichtig, aber ich glaute ihm nicht, er war einfach zu nett. An der nächsten Ecke dankte ich vielmals und mühte mich wieder selbst ab. Auf den allerletzten Metern kam zum Glück noch mal Hilfe.

Katrin Schings