berliner szenen: Die teure Orange ist aus Gold
Auf unserem Weg halten K. und ich an einem Obst- und Gemüsestand am Baumschulenweg. Auf die Schlange brennt die Sonne, und wir überlegen, ob wir Wassermelone kaufen oder lieber Kirschen oder gleich beides.
Die Kundin vor uns kann sich nicht zwischen Zuckeraprikosen oder normalen Aprikosen entscheiden. Die Verkäuferin reicht ihr aus beiden Schütten eine Frucht zur Probe. Die Verkäuferin ist schön. Ihr Haar ist dick und wellig nach hinten gebunden, der Ausdruck in ihrem Gesicht ist zeitlos schön. Ihr Mann hängt einen Stapel Tüten auf und spricht seitlich nach unten auf Türkisch. Während die Kundin sich für die Zuckeraprikosen entscheidet, bemerke ich neben dem Stand zwei kleine Mädchen. Sie hocken vor einer Plastikkiste und blicken in zwei umgedrehte Eierkartons, in deren Mulden sie Holzobst gesteckt haben.
„Möchten Sie etwas kaufen?“, fragt mich das größere Mädchen. Ich weiß, sie weiß, dass ich nicht nein sagen werde.
Der Vater ruft: „Nükhet“, dabei hebt er kurz die Augenbrauen. Ich lächle ihn an und frage die Kleine: „Haben Sie denn Kirschen?“
Sie schaut in ihren Eierkarton und in den ihrer Schwester. „Nein, aber wir haben Orange.“ Sie hält mir eine halbe Holzapfelsine hin.
„Auch gut,“ sage ich. „Wie viel kostet sie?“ Die Kleine schaut verunsichert. „10Hundert Euro“, sagt sie. „Oh“, mache ich, „das ist aber teuer, ist die Orange aus Gold?“
Die Kleine nickt ernsthaft, ihre Schwester nickt auch mit einem fast ängstlichen Blick. Ich seufze und sage: „Das ist mir leider zu teuer, da muss ich wohl bei der Konkurrenz kaufen.“ Die Mädchen gucken froh.
Wir kaufen Kirschen und eine halbe Wassermelone. Als wir gehen, winken die Mädchen erleichtert, weil sie ihre Orange nicht verkaufen mussten. Isobel Markus
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