Keine Gerechtigkeit

„Der Krieg nach dem Krieg“: Zehn Jahre danach erinnert Arte mit einem Themenabend an das Massaker von Srebrenica (ab 20.40 Uhr)

VON CHRISTIAN BUSS

Die junge Frau hat fast sämtliche Mitglieder ihrer Familie verloren. Vater, Onkel, Cousin – sie alle wurden vor ihren Augen erschossen. Nun sitzt sie im Verhandlungssaal dem Mann gegenüber, der die Massaker an der muslimischen Bevölkerung im Kosovo zu verantworten hat: Slobodan Milošević. Doch die Überlebende hat nicht nur die Präsenz ihres Peinigers zu ertragen, sie muss sich auch seinen Fragen aussetzen. Der ehemalige jugoslawische Präsident wird in Den Haag angeklagt, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. Er verteidigt sich selbst und darf Zeugen ins Kreuzverhör nehmen.

Es sind grausame Szenen, die in Thomas Schmitts Doku „Das Tribunal“ zu sehen sind. Auf dramatische Effekte und Offkommentare wird verzichtet, der Zuschauer wird ganz der Verhandlungslogik des Prozesses ausgesetzt. Einen britischen Diplomaten will der angeklagte Milošević in einen politischen Diskurs verstricken; einen serbischen Soldaten, der eine Massenerschießung bezeugt, weist er darauf hin, dass er sich bei seinen Vorgesetzten hätte beschweren müssen.

Milošević hat das Wort, es muss so sein. „Das Tribunal“ erinnert in seiner Machart an „Ein Spezialist“, jene Doku zum Prozess gegen Adolf Eichmann in Israel, die Eyal Sivan aus 350 Stunden gefilmter Gerichtsverhandlung montierte. Doch während aus den Aussagen Eichmanns ein genaues Bild des NS-Bürokratismus erwächst, beweist sich Milošević noch mal als Taktiker und Rhetoriker. Und als ebensolcher konnte er ja den Massenmord im Kosovo vor den Augen der internationalen Staatengemeinschaft durchführen lassen.

Der Spielfilm „Jagd nach Gerechtigkeit“, der den langen Weg zur Anklage gegen Milošević nacherzählt, verdichtet das damalige Interessengeflecht auf dem Balkan zu einem Politdrama. Es geht um die Chefanklägerin Louise Arbour (Wendy Crewson), die trotz mauernden Nato-Generälen und schweigenden Geheimdiensten die Verfolgung der serbischen Kriegsverbrecher aufnimmt. Erstmals wurde Anklage gegen einen amtierenden Staatschef wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit erhoben. Die unübersichtliche Gemengelage, die Arbour bei Amtsantritt 1996 vorfand, hätte Stoff für einen Zweiteiler hergegeben.

In der kanadisch-deutschen Koproduktion wird das komplexe Verfahren aber gelegentlich auf allgemein-menschliche Prinzipien heruntergebrochen. Der Chefanklägerin zur Seite steht ein muslimischer Übersetzer, der bei der Verfolgung der serbischen Mörder das eigene Trauma aufzuarbeiten versucht. Gespielt wird er von Stipe Erceg, der unlängst im Fernsehfilm „Yugotrip“ viel tiefer in die unauflöslichen psychosozialen Widersprüche des Balkankriegs eingetaucht ist.

Ganz anders geht es Hasan Nuhanović in der Doku „Srebrenica – nie wieder?“, in der die bosnische Stadt zehn Jahre nach dem Massaker gezeigt wird. Nuhanović sieht nachts noch immer seine tote Mutter, die ihm sagt: „Ich mag dich nicht.“ Der traurige Mann arbeitete 1995 als Übersetzer für die niederländische UN-Truppe und holte seine Familie in das von den Blauhelmen geschützte Lager. Doch die Niederländer schoben die Flüchtlinge ab und trieben sie direkt in die Arme ihrer serbischen Schlächter, der Übersetzer blieb aufgrund seines Jobs am Leben. Der Filmemacher Leslie Woodhead folgt ihm und einigen anderen verwaisten Zeugen des Völkermords, vorbei an Eigenheimruinen und frisch ausgehobene Massengräber. Gerechtigkeit? Für Nuhanović und die anderen Suchenden ein Phantom.

„Jagd nach Gerechtigkeit“, 20.45 Uhr; „Screbrenica – Nie wieder?“, 22.15 Uhr; „Das Tribunal“, 23.10 Uhr