Heimathafen im Mittelmaß

Nach einer langen Reise in die Nähe der Meisterschale ist Schalke wieder ganz bei sich angekommen

Es fällt Felix Magath immer noch schwer, das Phänomen Schalke 04 zu verstehen. Andernorts hätten die Fans ihre Mannschaft ausgepfiffen oder mit enttäuschter Ignoranz bestraft, hätten sie, wie die Schalker, ein Heimspiel nach dem anderen vergeigt. Schalkes 1:2 gegen den VfL Wolfsburg vom Freitag war saisonübergreifend die vierte Niederlage in den vergangenen fünf Heimspielen, und wenn dann auch noch immer neue Details über die beängstigende finanzielle Schieflage des Klubs bekannt werden, würden andere Fans empört Sitzblockaden organisieren und auf Vorstände schimpfen.

Nicht so auf Schalke. Dort wurde am Freitagabend eine Niederlage gefeiert. Die Sorgen über die Zukunft wurden flugs ausgeblendet. „Das hat mich in der Tat überrascht“, sagte Magath, der neue Trainer und Manager des Klubs. Engagement und Leidenschaft auf dem Platz reichten, um die Leute im Stadion glücklich zu machen, am Ende gab es Standing Ovations für eine höchst mittelmäßige Fußballmannschaft, die verloren hatte. Wie kann das sein?

Vielleicht liegt es an der Hoffnung, die Meistertrainer Magath verkörpert. Wahrscheinlicher ist aber, dass das Schalker Selbstbild wieder passt. Die da oben versagen, und uns hier unten geht es zwar dreckig, aber wir halten zusammen und geben unser Bestes. Schalke, die Skandalnudel mit der mäßigen Mannschaft und den hingebungsvollen Fans – nach einer langen Reise in die Nähe der Meisterschale und durch die Champions League ist Schalke wieder im vertrauten Heimathafen angekommen.

Auch Magath war ergriffen, „so macht sogar fast das Verlieren Spaß“, sagte er. Dieses Gemeinschaftsgefühl war ja einer der Gründe, warum er vom gepflegten Champions-League-Standort Wolfsburg zum wankenden FC Schalke wechselte.

Der Mann genoss die seltsame Ekstase am Rande des Elends, von dem sich Schalke 04 an diesem Abend mitreißen ließ. Sogar Rafinha, der Außenverteidiger, der vor drei Wochen noch zu Bayern München wechseln wollte, und dafür heftig ausgepfiffen worden war, wurde nun mit einer herzlichen Umarmung wieder aufgenommen. Am Ende gab es sogar Rafinha-Sprechchöre. „Das hat mir sehr gut getan und mir ungeheuer geholfen“, sagte der Brasilianer gerührt. Diese Art der positiven Kraft in schwersten Zeiten ist wahrscheinlich wirklich einzigartig im deutschen Fußball. Das Problem ist nur: Wenn man Meister werden will, sind die Zeiten in der Regel besser, und das seltsame Phänomen kommt einfach nicht zur Geltung. DANIEL THEWELEIT