London noch weit von der Normalität entfernt

Sicherheitsstufe in London erhöht, Regierungsviertel kurzzeitig gesperrt. Polizei sucht Terroristen im Inland

LONDON taz ■ „Business as usual“, sagte Londons Bürgermeister Ken Livingstone. Er nahm gestern die U-Bahn ins Büro und riet allen Londonern, das gleiche zu tun. Und sie taten es – selbst Menschen, die bei den Bombenanschlägen am Donnerstag leicht verletzt worden waren. Livingstone beschwor die „Geisteshaltung des Zweiten Weltkrieges“.

Von der Rückkehr zur Normalität ist London dennoch weit entfernt. Die Feiern zum 60. Jahrestag des Weltkriegsendes, bewusst zwischen die Jahrestage der Kriegsenden in Europa und Asien gelegt, fanden am Sonntag unter extremen Sicherheitsvorkehrungen statt, da auch Premierminister und Königin daran teilnahmen. Am Abend rief die Regierung die zweihöchste Stufe der Alarmbereitschaft aus. Das Regierungsviertel in London wurde wegen einer Bombenwarnung gestern Vormittag für mehrere Stunden gesperrt.

Die offiziell bestätigte Zahl der Todesopfer bei den Anschlägen stieg gestern auf 52. Innenminister Charles Clarke warnte, dass die Gefahr weiterer Anschläge bestehe, bis die Täter der Anschläge vom Donnerstag gefasst seien. Er will morgen bei einer Sitzung der EU-Innenminister darauf drängen, dass die Daten über private E-Mails, Handygespräche und Textmitteilungen drei Jahre lang aufbewahrt werden müssen.

Londons Polizei ist inzwischen davon überzeugt, dass einheimische Terroristen für die Anschläge verantwortlich sind. Sie wurden möglicherweise schon vor Jahren von Mustafa Setmariam Nasar angeworben, einem Syrer mit spanischem Pass, der 1995–98 in London lebte und auch die Bombenanschläge von Madrid organisiert haben soll. Der frühere Londoner Polizeichef John Stevens sagte, dass bis zu 3.000 Briten die Ausbildungslager von al-Qaida durchlaufen hätten. Zum harten Kern, der auf seinen Einsatz in Großbritannien wartet, rechnet er 200. Stevens sagte, die Polizei habe in den vergangenen fünf Jahren acht Terroranschläge in London vereitelt.

Konkretere Hinweise auf die Täter erhofft sich die Polizei von der forensischen Untersuchung des Busses der Linie 30, der am Tavistock Square eine Stunde nach den U-Bahn-Anschlägen in die Luft flog. Dreizehn Menschen starben in dem Bus, darunter wohl auch der Attentäter. Mehrere Überlebende haben ausgesagt, dass ihnen auf dem Oberdeck ein übernervöser Mann aufgefallen sei, der ständig in seine Aktentasche schaute. Als er die Treppe hinunterging, sei die Bombe in der Tasche explodiert.

RALF SOTSCHECK