Das große Welterbe-Rätsel

QUIZ Die norddeutschen Bundesländer haben für dieses Jahr entschieden, was sie auf der deutschen Vorschlagsliste für das Weltkulturerbe sehen wollen. Nun muss die Kultusministerkonferenz darüber entscheiden, welche Vorschläge sie zur Unesco nach Paris sendet – und welche nicht. Die taz.nord stellt die Kandidaten vor – und andere, die es nicht weniger verdient hätten. Die Auflösung des Rätsels finden Sie unten auf der Seite

Altes Land

Es sind 14.500 Fußballplätze voller Obstbäume. Als ob es noch eines weiteren Arguments bedürfte, um den größten Obstgarten Mitteleuropas weltkulturell zu adeln. Gäbe es aber noch einige: die reich verzierten Zweiständerhäuser als die typischen Höfe im Alten Land, die meist reetgedeckten Prunkpforten davor, die Klappbrücken über die zahlreichen Bäche und Wettern und nicht zuletzt die Arp-Schnitger-Orgeln in den Kirchen von Neuenfelde und Steinkirchen sind Belege dafür, was Menschen in jahrhundertelanger Arbeit aus dem Sumpfland an der Unterlebe machten. Es gibt wahrlich Schlimmeres. SMV

Bergstraße Kiel

Wohl nirgends auf der Welt gibt es vier oder fünf Diskotheken übereinander. Und erst recht nirgendwo auf der Welt heißen sie nach Größen des Geisteslebens. Nur in der Kieler Bergstraße. Ins „Tucho“ zu gehen, ist für Kieler ganz normal – wenn sie nicht lieber im „H. Böll“ den Kopf schütteln. Oder, für die Verhältnisse in der Bergstraße, wo sich eigentlich nie was ändert (allein das weltkulturerbewürdig), ganz neu: im Voltaire. JANK

Haithabu

Bis heute umschließt ein meterhoher Wall den Ort, auf dem in der Wikingerzeit eine der bedeutsamsten Metropolen Nordeuropas stand. Seine Lage machte Haithabu zu einem Zentrum des See- und Fernhandels: Es liegt an einem Noor am äußersten Ende des Ostsee-Seitenarms Schlei, aber auch die Eider und damit die Nordsee sind nicht fern. 300 Jahre lang, vom 9. bis 11. Jahrhundert, spielte der Ort nahe des heutigen Schleswig eine Schlüsselrolle, wurde mehrfach umkämpft und erobert, bevor er seine Bedeutung verlor. Heute bieten ein Museum am Rande der Anlage sowie ein Dörfchen aus Langhäusern im Inneren des Walls einen Einblick ins Leben der Wikinger. EST

Chilehaus

Das markante Kontorhaus direkt gegenüber der Hamburger Speicherstadt wurde von 1922 bis 1924 gebaut und gilt als Höhepunkt des „deutschen Backsteinexpressionismus“. Mit seinen zehn Stockwerken war es eines der ersten Hochhäuser in Hamburg, sein spitzer Winkel erinnert an einen Schiffsbug. Der Name kommt daher, dass Bauherr Henry B. Sloman sein Geld mit chilenischen Salpeter-Minen machte. WIE

Rundlingsdörfer bei Lüchow

Wer jemals durch Jameln mit dem Fahrrad fuhr, weiß, was Rundlingsdörfer sind: Die Dorf-„Durchfahrt“ ist ein immerwährender Kreisverkehr, ein unendliches Verharren in der Harmonie der geschlossenen Form. Mit vollem Recht hat Niedersachsen die Rundlinge des Wendlands als Weltkulturerbe nominiert. Für die 230 Jamelner und die Einwohner der anderen 19 auserkorenen Dörfer ist das eine späte Würdigung ihres Engagements für den Erhalt von Orten und Gebäuden. Die Jamelner leben in Hallenhäusern, deren Firstbalken sich radial um einen zentralen Findling gruppieren – von oben gesehen wäre das eine Sonne. Der Dorfplatz wird durch eine Ringstraße eingefasst, die wiederum die Häuser verbindet: Ein Dreiständerhaus, einige Zweiständerhäuser und das 100-Taler-Haus von 1681. In dessen Spruchbalken sind die damaligen Baukosten eingeschnitzt, die seither angefallenen Renovierungskosten, stets privat aufgebracht, würden viele weitere Balken füllen. Kulturlandschaften und bäuerliche Architektur sind auf der Unesco-Liste bisher sträflich unterrepräsentiert. Das ehemalige Zonenrand-Gebiet Wendland, dessen seinerzeitige wirtschaftliche Stagnation ein denkmalpflegerischer Segen ist, bietet die Chance zur Korrektur. HB

Die Orgeln Arp Schnitgers

Wenige Werke westlicher Kultur sind so weltweit bewundert, wie die Musik Johann Sebastian Bachs. Doch die kommt nicht von nichts: Arp Schnitgers Orgeln sind Bedingung der Möglichkeit von Bachs Kompositionen und wirksame Agenten ihrer globalen Akzeptanz.

Vom Oldenburgischen aus hat Schnitger die Ohren für sie bereitet, in Norddeutschland, den Niederlanden, in Portugal, selbst in Brasilien steht ein Instrument, in Norwegen, Dänemark und Schlesien setzten seine Schüler das Werk ab seinem Tod 1719 fort. Schnitger ist 1648 im damals schwedischen Schmalenfleth in der Wesermarsch geboren: Seine Orgeln – 30 gibt’s noch – veränderten das musikalische Empfinden hin zum harmonisch schärfer konturierten Klang-Ideal, das die Werke Bachs, Händels oder Telemanns prägt. Dort, wo die Orgeln fachgerecht restauriert wurden, lebt die klangliche Brillanz von Schnitgers Handwerk ungebrochen fort. In St. Jacobi zu Hamburg etwa.

Ja, diese Dummburger! Wenn die nicht ab 1800 die meisten ihrer unbezahlbaren Schätze demontiert und verscheuert hätten, die Stadt wäre unbestrittenes Zentrum des künftigen Welterbes. Denn: dass die Unesco die Schnitger-Orgeln adelt, ist gewiss. Wenigstens, wenn die Welterbe-Liste einen Anspruch auf Sinnhaftigkeit erheben will. So wird’s halt Brake, wo die Schnitger-Gesellschaft sitzt. Und unterstützt von den Bremern, die im Namen des Orgelbauers einen jährlichen Organisten-Wettstreit ausrichten.  BES

Rickmers Werfttor

Das alte Rickmers-Werfttor von 1834 gilt als Symbol der Bremerhavener Stadtgeschichte. Durch das neugotische Überbleibsel betraten einst Arbeiter das Gelände eines der führenden Schiffbaubetriebe seiner Zeit. Heute findet sich hinter dem Denkmal zwischen Geesteufer und Autobahnzubringer die städtische Arbeitsagentur.  LKA

Eidersperrwerk

Das Eidersperrwerk steht exemplarisch für den Kampf der Nordsee-Anrainer gegen den „blanken Hans“. Eine Kombination aus fünf doppelreihigen Sperrtoren, einem steinbewehrten Deich und einer Schleuse vereint die Versuche des Menschen, der See Herr zu werden. Das geht so weit, dass nicht einmal der Autoverkehr beeinträchtigt wird: Zwischen den Fluttoren verläuft ein Tunnel. Schade, dass nicht gleich in einem Paket das passende Buch als Kulturerbe beantragt werden kann: der „Schimmelreiter“.  KNÖ

Helmut Schmidt

Der Altbundeskanzler und Zeit-Herausgeber auf Lebenszeit steht eigentlich schon lange unter Denkmalschutz. Eine Nominierung dürfte ein leichtes Spiel sein, ein Anruf seiner Sekretärin müsste genügen. WIE

Hamburger Sternwarte

Die heute auf den Tag genau 100 Jahre alte Sternwarte in Hamburg-Bergedorf war bei ihrem Bau eines der modernsten Observatorien Europas. In der neobarocken Anlage sind Teleskop- und Arbeitsräume erstmals getrennt, um negative Einflüsse der Heizungsluft auf die Beobachtungen auszuschließen. Seit 2008 ist sie auf der Liste der national bedeutsamen Kulturdenkmäler.  WIE

Fliegerhorst Faßberg

Überfällig ist es, das Netz norddeutscher Fliegerhorste als Welterbe zu deklarieren. Es reicht von Alexanderheide im Oldenburgischen bis Greifswald und wurde im Wesentlichen in kaum zwei Jahren ersonnen und errichtet, wobei es entlegene Regionen unter Wahrung der Verschwiegenheit anschlussfähig an Zukunftstechnologien machte. Zentrum dieses Netzwerks muss der zwischen November 1933 und April 1934 errichtete Fliegerhorst Faßberg in der Lüneburger Heide sein, das derzeit, anderthalb Jahre vorm Stichtag, sein 80-jähriges Bestehen feiert.

Diese Vorverlegung erweist sich im Spiegel der Presse als technikgeschichts-didaktischer Geniestreich: Indem man sie aus der dunklen Zeit, in der sie notgedrungen stattfanden, ins rechte Licht rückt, lassen sich die Pioniertaten deutscher Ingenieure unbefangen würdigen: „Von der Heide ins Weltall“, feierte die Hannoversche Allgemeine das kleine Faßberg, das Hamburger Abendblatt nannte es gar „eine Wiege der Raumfahrt“. Dass es auch Grab von hunderten Zwangsarbeitern ist, muss ja nicht jedes Mal erwähnt werden.

Exemplarisch steht das von den Alliierten und anschließend der Bundeswehr fortbetriebene Faßberg dafür, dass diese Kriegsinfrastruktur ab ’45 zum unverzichtbaren Teil einer Friedens-Infrastruktur wird. Besonders charmant dabei, dass die „Rosinenbomber“ der Berlin-Blockade auch eine im Grunde alte, ideelle Luftbrücke am Himmel des Nachkriegsdeutschlands nachzeichneten: Diese verbindet Faßberg als Erstlingswerk des laut Elke Dittrich „wichtigsten Industriearchitekten des Dritten Reichs“, Ernst Sagebiel (1892-1970) aus Braunschweig, mit der Stadt seiner berühmten Einzelbauten Reichsluftfahrtministerium (1938) und Flughafen Tempelhof (1935). Zur besseren touristischen Erschließung empfiehlt sich insofern die Ausweisung einer Ernst Sagebiel-Route, die Braunschweig, das Welterbezentrum Faßberg, Berlin und seine stadtplanerischen Hauptwerke Salzgitter und Wolfsburg verbindet. BES

Braunlage

Hier sind die 70er konserviert. Das Harzstädtchen Braunlage ist das vermutlich größte zusammenhängende Ensemble der 70er Jahre, liebevoll sind in die alten Schieferhäuser neue Geschäfte integriert – ohne etwas am Gesamtbild zu verändern. Das Eisstadion (Baujahr 1974) ist die ideale, witterungsunabhängige Sport- und Freizeitanlage mit attraktiven Eishockeyspielen, Schlittschuhverleih, Eisstockschießen für Gäste und Stadion-Restaurant mit Blick auf die Eisfläche. ILK

Doberaner Münster

Die ehemalige Klosterkirche besticht vor allem durch ihre außergewöhnlich gut erhaltene hochgotische Innenausstattung. So ist der Mönchschor mit Hochaltarretabel, Sakramentsturm, Chorgestühl und Levitenstuhl, Kelch- und Kredenzschrank bis heute fast komplett. Schon die DDR setzte den Kirchenbau auf ihre Vorschlagsliste für das Weltkulturerbe. WIE

Schweriner Schloss

Der Prachtbau des romantischen Historismus ist so etwas wie das Neuschwanstein des Nordens. Seine jetzige Gestalt erhielt das Schoss von 1845 bis 1857 durch vier bedeutende Architekten: Georg Adolf Demmler, Gottfried Semper, Friedrich August Stüler und Ernst Friedrich Zwirner. Vorbild waren französische Renaissanceschlösser, im Inneren residiert der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern in DDR-Ambiente: die roten Sitze der Abgeordneten sind nach vorne zum Präsidium ausgerichtet. Allerdings soll der Plenarsaal neu gestaltet werden, in einem Architektenwettbewerb wurde bereits ein Siegerentwurf gekürt.  WIE

Auf die deutsche Vorschlagsliste für das Weltkulturerbe geschafft haben es: Haithabu (Schleswig-Holstein), Chilehaus mit Kontorviertel und Speicherstadt (Hamburg). Von ihren jeweiligen Bundesländern für die Liste nominiert wurden: Altes Land, Rundlingsdörfer (Niedersachsen), Schloss Schwerin, Münster Doberan (Mecklenburg-Vorpommern), Hamburger Sternwarte (Hamburg).