berliner szenen: Ohne den Nachbarn angereist
Auf dem Pariser Platz sind alle mit sich selbst beschäftigt. Das Brautpaar, das sich vor dem Brandenburger Tor fotografieren lässt, die drei Gitarristen, die für ein Video posieren, die Großmutter, die sogar das schlafende Baby aus dem Kinderwagen hebt, damit es mit aufs Bild kommt. Niemand nimmt Notiz von den fünf älteren Frauen, die ein Transparent halten: Freundschaft mit Russland. Das Wort „mit“ ist unterstrichen, als könnte es sonst Missverständnisse geben. Es ist ein Kommen und Gehen, nur die fünf stehen stoisch da. Schließlich werden sie beachtet. Zwei Polizisten schlendern langsam auf die Demonstrantinnen zu. Einer redet auf sie ein, weist auf den Fußweg vor der französischen Botschaft, aber die Frauen bleiben unbeeindruckt. Jetzt versucht es der zweite Polizist, vergeblich. Für die Frauen besteht offenbar keine Veranlassung, den Standort zu verändern. Plötzlich kommt Bewegung auf. Eine blau blinkende Motorradstaffel rollt an. Bestimmt 20 Fahrzeuge, dazu einige Limousinen. „Staatsbesuch“, mehr lässt sich ein Uniformierter nicht entlocken. Das Königspaar aus Amsterdam? Eher nicht – gerade eben wurde die niederländische Flagge eingerollt und samt Fahnenmast in einem langen Anhänger abtransportiert. Auf jeden Fall könnte der Staatsbesuch Grund dafür sein, die Russland-Freundinnen zur Seite zu komplimentieren. Vielleicht würde das Transparent den Gast irritieren, falls auch er sich vor dem Brandenburger Tor fotografieren lassen will. Will er nicht, er steigt direkt vor dem Hotel Adlon aus. „Der Staatspräsident von Nigeria“, lässt jetzt ein anderer Polizist wissen. Mit dem allerdings hätte es sowieso kein Foto gegeben, der ernennt gerade zu Hause einen Botschafter. Die Bundeskanzlerin ist mit dem Staatspräsidenten von Niger verabredet – steht auf ihrer Homepage.
Claudia Ingenhoven
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