heute in bremerhaven: „Es wurde einfach blind weitergefischt“
Sandra Schöttner
43, Meeresbiologin aus Bremen, arbeitet bei Greenpeace als Meeres-Expertin.
taz: Frau Schöttner, ist es noch zeitgemäß, Matjestage zu veranstalten?
Sandra Schöttner: Aus kulturhistorischer Sicht vielleicht, aber aus ökologischer Sicht nicht. Wir leben nicht mehr in einer Zeit, wo es den Heringsbeständen gut geht – in der Ostsee noch weniger als in der Nordsee. Und es wäre ignorant, das nicht anzusprechen. Da dürfen wir nicht an einer Tradition festhalten, die mit dafür verantwortlich ist. Es braucht ein Umdenken, am besten schon vorgestern.
Braucht es mehr Aufklärung?
Unbedingt. Bei Matjestagen sollte es natürlich um Gaumenfreude und Genuss gehen. Bewussten Konsum unterstützen wir. Aber die Folgen unseres Handelns in der Natur müssen mit beleuchtet werden: In Zukunft wird es solche Tage vielleicht nicht mehr geben, wenn es kaum noch Hering gibt.
Welche Rolle spielt der Matjes für die Heringsbestände?
Das Grundproblem ist nicht nur, dass der Fisch zu viel, sondern auch zu früh gefischt wird, bevor er gelaicht hat. Wenn die Bestände stabil sind, ist die saisonale Befischung von Jungtieren nicht schlimm. Aber die letzten 15 Jahre waren eine Katastrophe. Es wurde einfach blind weitergefischt und die Bestände sind in einem besorgniserregenden Zustand. Da spielen auch noch Überdüngung und vor allem der Klimawandel mit rein.
Welche Auswirkungen hat der Klimawandel?
Die Meere heizen sich auf, besonders auch die Ostsee, weil sie ein abgeschlossenes Gewässer ist. Der Hering laicht früher und auch die Larven schlüpfen früher, weil dieser Vorgang von der Temperatur abhängig ist. Allerdings ernähren sich die Larven von kleinsten Krebstierchen und die wiederum von Algen, die abhängig vom Licht wachsen. Wir haben wärmere Winter, aber das Licht bleibt immer gleich. Viele Larven verhungern, weil das Nahrungsangebot noch nicht da ist.
Worauf muss ich achten, wenn ich Matjes kaufe?
Hering aus der Ostsee: bitte Finger weg! Bei Hering aus der Norwegischen See kann man noch zugreifen. Aber je näher es an Deutschland, Dänemark und die Niederlande kommt, desto weniger sollte man das kaufen.
Was muss sich ändern?
Matjestage: Schaufenster Fischereihafen, Bremerhaven, Sa, 12–22 Uhr, So, 10–18 Uhr
Es braucht eine konsequente Einrichtung von Schutzgebieten, damit sich die Fischbestände erholen können. Und es gibt klare Empfehlungen aus der Wissenschaft, die Fischerei des Herings in der Ostsee zu stoppen. Der Internationale Rat für Meeresforschung (ICES) fordert für die nächste Saison einen Fangstopp. Ob sich das politisch durchsetzt, entscheidet sich zum Jahresende hin.
Was kann ich denn selber tun?
Die Verantwortung liegt auch bei den Konsumenten. Die Entscheidung trifft man im Supermarkt, die trifft man bei Matjestagen und die trifft man an der Wahlurne.
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