80 Jahre Überfall auf die Sowjetunion: Der beerdigte Friedhof
Der Bestattungsplatz in der Bremer Gleisschleife wird erforscht. Hier verscharrten die Nazis ermordete Kriegsgefangene aus dem Lager am Pulverberg.
Parallel zu den Schienen ist auf etwa vier mal 30 Metern das Erdreich aufgerissen. Eine Grube. Auf ihrem Sandboden sind orangene Planen und ein Weg aus Malervlies gelegt. Landesarchäologin Uta Halle stellt das Loch als einen Grabungsschnitt vor, „also die Vorbereitung für eine Grabung“: Man erhält ihn, indem man mit Baggern Erdschichten wegschafft, in denen mit bedeutsamen Funden nicht zu rechnen ist.
Wieviel das war, in nicht mal 80 Jahren! Hier unten erst ist man auf Höhe der Gräber, die überspült, verdeckt, mit Macht und Müll verdrängt worden sind. Einen weiteren Schnitt plant Halle noch, eher Richtung Mitte: Rund 65 Meter nach Osten erstreckt sich das Areal des Friedhofs.
Denn den gab es hier. Kein Ort der Andacht, statt Stein oder Kreuz bloß ein Pflock mit Kennmarke: Hier wurden durch Zwangsarbeit, Schmutz und Unterernährung ermordete sowjetische Kriegsgefangene bestattet. „Wir wissen auch von circa 60 Zivilarbeitern“, sagt Elmshäuser, so viel lässt sich der lückenhaften Dokumentation entnehmen.
Mit Militärstacheldraht umzäunt
Die meisten Toten werden im nahegelegenen Lager Grambker Heerstraße 30 gestorben sein. Es waren Sowjets. Die Rassengesetze der Nazis versagten ihnen die Beerdigung auf einem regulären Friedhof. Daher die Anlage in der Gleisschleife, umzäunt von mörderisch-scharfem Militärstacheldraht. Seine rostigen Überbleibsel, die Halle der Presse zeigt, sehen aus wie das Skelett eines seltsamen Tiers.
Schon während des Krieges war aufs Gelände Sand aus der Weser gespült worden, wegen der Fahrrinnenvertiefung, die das Oberkommando der Marine angeordnet hatte. Auf einem Luftbild, 1944 bei einem Aufklärungsflug entstanden, sieht man einzelne Grabstellen, die Reihen parallel zu den Gleisen. Am östlichen und westlichen Rand des Areals zeichnen sie sich gut ab.
Ekkehard Lentz, Sprecher des Friedensforums
Halle hat umplanen müssen: Die Landesarchäologin hat nur einen Planungstechniker im Team, „und der kann sich nicht teilen“, sagt sie. Ursprünglich wollte sie mit ihren Studierenden Grabungen an der Bahrsplate durchführen – ein Außenlager des KZ Neuengamme.
Dass nun der verschüttete Friedhof erkundet wird, hat damit zu tun, dass die Deutschlandtochter des französischen Schienenfahrzeugherstellers Alstom hier eine Werkstatt mit Waschanlage errichten will. Unerträglich, findet das Friedensforum und hat mit lokalhistorischen Kenntnissen die Gegenwehr einer Bürgerinitiative gegen die Werkstatt munitioniert, teilweise auch mit überzogener Polemik.
„Uns ging es nicht darum, den Senat anzugreifen“, sagt der Friedensforums-Sprecher Ekkehard Lentz am Dienstag auf Nachfrage. Naja. Ein paar Wochen zuvor hatte er immerhin der Bremer Regierung bescheinigt, ihr Umgang mit den NS-Opfern der Sowjetunion folge „offenbar weiterhin dem von den Nazis geprägten Stigma der ‚Untermenschen‘“.
Ohne lautstarke Gegenwehr aber, ist Lentz sich sicher, „wären die Alstom-Pläne durchgewunken worden“. Die archäologische Untersuchung hätte seiner Ansicht nach „längst geschehen müssen“. Ein Bau an dieser Stelle wäre seiner Ansicht nach völkerrechtswidrig. Von einer Jura-Studentin aus Leiden hat man sich das durch ein Gutachten bescheinigen lassen, das allerdings ein wenig oberflächlich wirkt. Immerhin, es führt die Nornen auf, die möglicherweise durch eine Exhumierung verletzt werden könnten und verweist auf den entscheidenden Rote-Kreuz-Kommentar.
Mindestens werden die Grabungen einen Baubeginn auf unbestimmt vertagen. „Es dauert so lange es dauert“, kündigt Halle an. Vielleicht schreckt das Alstom ab. Schon beim Abbaggern hatte man Unerwartetes gefunden: Statt nur Spülsand lagen da Trümmer, geschmolzenes Glas, der Abraum des bombardierten Bremer Westens.
Wann Halle und ihr Team auf menschliche Überreste stoßen werden, ist ungewiss. Dass da noch Gerippe liegen müssen, ist nahezu sicher: mindestens 750 Tote sollen hier bestattet worden sein. Bei einer Umbettungsaktion im November 1948 hatten zehn Mann vom Gartenamt insgesamt 446 Leichen ausgebuddelt, um sie auf dem Friedhof Osterholz zu bestatten.
Sie waren stark verwest. Statt sie, vorschriftsgemäß, in Holzkisten zu betten, hatte man die Leichen laut den Recherchen des Vereins „Erinnern für die Zukunft“ nur in Teerpapier gewickelt und von Mithäftlingen verscharren lassen. Die Gartenamtsmänner beschwerten sich über die unzumutbare Arbeit, erzählt Emlshäuser, daraufhin erhielten sie einen Bonus: „Als Zulage bekamen sie Milch.“
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