Mania in Kunstpelz und Regenmantel

Das Beatles-Musical „All You Need Is Love“ im Neuköllner Estrel Festival Center ist ein bisschen einfach gestrickt und eigentlich auch nur ein Coverbandkonzert – was überzeugte ältere Fans trotzdem die Feuerzeuge zücken lässt

In das Estrel Center in der Neuköllner Sonnenallee kommt der normale Berliner Konzertbesucher ja selten, dabei finden dort so erlesene Veranstaltungen wie die „Miss Germany“-Wahl und die „Echo“-Verleihung statt. Seit Ende Juni wird im Estrel Festival Center das Beatles-Musical „All You Need Is Love“ aufgeführt. Doch um es gleich klarzustellen: Wer ein richtiges Musical mit Story und über das Leben der Beatles erwartet, wird bitter enttäuscht. Das hier ist eine Musical-Mogelpackung, denn zur Aufführung kommt lediglich das Konzert einer Beatles-Coverband.

Das Publikum sitzt erwartungsvoll an kleinen Tischchen, das Licht dimmt sich herunter, vier Männer in Faschingskostümierung betreten die Bühne. Ringo trägt einen roten Regenmantel, George geht als Schießbudenfigur mit angeklebtem Schnurrbart und Kunstpelz. Paul McCartney hingegen sieht sich so sehr ähnlich, dass man über chirurgische Eingriffe in der Lidpartie spekulieren könnte. Den armen John-Lennon-Darsteller hat es am härtesten erwischt: Mit so einer Langhaarperücke und der runden Brille muss man einfach dämlich wirken.

Sie spielen „Come Together“, die Szene soll das letzte Konzert der Beatles auf dem Dach des Abbey-Road-Studios darstellen. Dann arbeitet man sich von vorne chronologisch durch die musikalischen Stationen der Karriere: Liverpool, Hamburg, Nummer eins in Amerika, Beatlemania, Studioaufnahmen, Zerrüttung, Schluss. All das aber sehr naturgetreu mit passenden Frisuren und wechselnden Outfits, von den Lederjackenanfängen über die Anzugphase und den Sergeant-Pepper-Kostümen zu den Hippieklamotten.

Auch ein dramaturgischer Einfall wird umgesetzt: Wenn die Band sich umziehen muss, kommt ein lässiger Roadie als Erzähler auf die Bühne und monologisiert in kumpelhaftem Ton über die „Fab Four“ und ihre Zeit. Beim Kulissenbau hat man eine ebenso einfache Lösung gefunden: Spielfläche ist das Konzertpodest, darüber hängen Videoprojektionsflächen, deren Bilder wirklich interessant sind, wenn die echten Beatles bei echten Konzerten gezeigt werden. Die Coverband „Twist and Shout“ besteht aus erfahrenen Beatles-Imitatoren, der Sound kommt teilweise vom Band, gesungen wird live, und die Stimmen klingen erstaunlich originalgetreu.

Die Opulenz eines „Glöckners von Notre Dame“ hatte im Festival Center wohl niemand erwartet – das Publikum gibt sich beeindruckt von dieser Impersonator-Show im Las-Vegas-Stil. Seltsam, worüber die Leute so lachen! Ein großer Gag ist, wie die Beatles in Hamburg nach „Gluuhwein“ verlangen.

Auch als der unvermeidliche Roadie mit einem megafongroßen qualmenden Joint auf die Bühne kommt: Kreischen und Schenkelklopfen! Ab einem gewissen Alter hören die Menschen ja leider auf, sich für aktuelle Musik zu interessieren, und lauschen höchstens noch der Musik ihrer Jugend. Für diese Klientel wurden Oldie-Nächte und Doppelgängershows erfunden. Beim Publikum im Estrel Festival Center handelt es sich allerdings ganz schnöd zum Großteil um Hotelgäste, die das „Show-Arrangement“ wahrnehmen: Übernachtung im Vier-Sterne-Hotel plus Frühstücksbuffet und Showbesuch.

Beatles-Songs sind dankenswerterweise so stark, dass sie das Peinliche der Veranstaltung überstrahlen – man gewöhnt sich richtig daran. Man darf auch die Beatles-Fans nicht unterschätzen: Die vergnügten älteren Damen am Nebentisch holen gerade nicht zu „Yesterday“ die Feuerzeuge raus, sondern bei dem weniger bekannten, kryptischen Lieblingssong „A Day In Life“.

CHRISTIANE RÖSINGER

„All you need is love – Das Beatles Musical“, bis 31. Juli im Estrel Festival Center, Sonnenallee 225