BETTINA GAUS ÜBER FERNSEHEN
: Einfacher geht’s nur mit der FDP

Soaps führen vor, wie die Mittelschicht mit dem Abstieg zurechtkommt. Wie praktisch, dass das im Fernsehen lustig ist

Hannes Bachmann war einmal Pilot. Infolge widriger Umstände hat er seinen Job verloren. Inzwischen ist er Hausmeister. Auch diese Tätigkeit nimmt er sehr ernst, und er erfüllt seine Aufgabe auf vorbildliche Weise. Wann immer ein verstopftes Rohr zu reparieren ist, eilt er sofort zum Ort des Geschehens. Erfüllt von tiefem Pflichtgefühl. Arbeit schändet nicht. Ein Vorbild ist Hannes Bachmann. Für die deutschen Fernsehzuschauer und vor allem für die Jugend.

Auch der Architekt Vincent Buhr kommt in seinem Beruf nicht mehr unter. Leider hat er daraus die falschen Konsequenzen gezogen und sich ins kleinkriminelle Milieu verfügt. Die Folgen für ihn – wir ahnen es bereits – sind fürchterlich. Mindestens so schlimm wie für jene Sünder, deren Schicksale die Leser und Leserinnen christlicher Traktate des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts fesselten. Diese Traktate waren die Vorläufer der RTL-Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, zu deren Protagonisten Hannes und Vincent gehören. Die ersten Fans der Serie sind inzwischen in die Jahre gekommen, aber neue wuchsen nach, zur Freude der Produzenten, und das ist ja auch kein Wunder. Schließlich spiegelt die Sendung – wie schwachsinnig die Dialoge und wie einfallslos die Kulissen auch sein mögen – verlässlich die Probleme der Zeit wider. Und bietet einfache Lösungen an. Was mehr ist, als sich von den meisten Parteien sagen lässt, von der FDP einmal abgesehen.

Derzeit dreht sich also viel um das Thema Arbeitslosigkeit, und alle können zuschauen, wie die Mittelschicht mit ihrem drohenden oder vollzogenen Abstieg zurechtkommt. Im Fernsehen ist das lustiger als in der Wirklichkeit. Kürzlich saß bei uns ein 18-jähriges Mädchen in der Küche, das glaubhaft erzählte, wie dankbar es für die Hühnersuppe gewesen sei, die einige Tage zuvor die Großmutter vorbeigebracht habe. Vorher habe es nämlich Hunger gehabt. Wenn man so etwas Leuten aus der Mittelschicht erzählt, die ihren Status noch halten können, dann sind die Reaktionen darauf fast ebenso verlässlich wie die Drehbücher von GZSZ. Die Zuhörer erklären – empört, ungläubig oder auch etwas betreten –, dass so etwas nun wahrlich noch immer nicht sein muss und dass dieses Mädchen – falsch beraten oder infolge eines Irrtums – einfach nicht in den Genuss all der Segnungen gekommen ist, die unser Sozialstaat nach wie vor selbstverständlich bereitstellt.

Darüber hinaus weisen diese Leute gerne darauf hin, dass die Eltern der bedauernswerten Jugendlichen an ihrem Los vermutlich doch irgendwie selber schuld seien. Diese Unterstellung trifft fast immer zu. Jedenfalls dann, wenn man es als Schuld bezeichnen möchte, dass jemand sich beim Versuch der Selbständigkeit finanziell überhoben hat oder den Arbeitsplatz verloren hat oder sich hat scheiden lassen. Das sind so die Klassiker auf dem Weg zur Dankbarkeit für Hühnersuppe.

Es ist wahr: Nach wie vor müsste niemand auf derlei milde Gaben angewiesen sein. So weit ist es noch nicht, jedenfalls nicht in der Realität. Aber vielleicht in immer mehr Köpfen. Als ich ein Kind war, da wurde viel darüber gesprochen, dass es Altersarmut nicht geben müsse. Wenn die Alten bloß nicht so schamhaft wären und den Weg zum Sozialamt nicht scheuten.

Scham ist keine Krankheit, die nur Alte befällt. Es mag ja sein, dass unser Sozialstaat theoretisch noch ganz gut funktioniert. Aber wenn im engeren Freundeskreis meiner 17-jährigen Tochter, die ein Gymnasium in bürgerlicher Gegend besucht, regelmäßig etwa vier Mädchen und Jungen nicht wissen, ob das Geld der Familie fürs Nötigste reichen wird, dann bringt mich das ins Grübeln. Als ich 17 war, hat meinen Freundeskreis diese Frage nicht beschäftigt. Ich glaube nicht, dass dies nur darauf zurückzuführen ist, dass wir GZSZ noch nicht kannten.

Fragen zur Scham? kolumne@taz.de MORGEN: Kirsten Fuchs über KLEIDER