die woche in berlin
: die woche in berlin

Erst mal Pause: Das coronageplagte Schuljahr verabschiedet sich in die Sommerferien, die Initiatoren des Einheits- und Freiheitsdenkmals sehen ihre Wippe am Schloss vom Flussbad in der Würde gestört, und mit dem regenbogenbunt illuminierten Olympiastadion wird ein Zeichen gesetzt, das bis nach Ungarn leuchten soll, mindestens

Es bleibt doch die Hoffnung bis zuletzt

Ende eines Coronaschuljahrs und der bange Blick nach vorn

Was bleibt eigentlich noch zu sagen über dieses Corona­schuljahr, das nun zum Glück endlich vorbei ist? Vielleicht, dass es angesichts der bisher gemachten Erfahrungswerte erstaunlich ist, dem kommenden Schuljahr mit großen Hoffnungen zu begegnen – wie es etwa der Berliner Landeselternausschuss zum Ferienbeginn am Donnerstag tat.

Das mag jetzt arg schwarzmalerisch klingen, ist aber nur nüchtern gemeint. Denn wenn man sich die Erfahrungen aus den zurückliegenden eineinhalb Co­ro­na­schuljahren anschaut, dann ist es doch so: Es gibt Hygienekonzepte für die Schulen. Es gibt genügend Testkapazitäten und Masken ohnehin auch. Die Impfquoten unter den Lehrkräften steigen, und wenn die Schulen fitte Leitungen haben, kriegen sie das mit dem Wechselunterricht digital/Präsenz inzwischen so gut hin, dass vielerorts zu hören war: Die Kinder profitieren auch, von den deutlich kleineren Klassen zum Beispiel.

Kurz: Es gibt Konzepte, es gibt Infrastruktur. Das war beides am Anfang der Pandemie nicht so, doch spätestens seit der dritten Welle im Spätherbst/Winter hat sich das geändert.

Und doch wird es am Ende, sollten die Zahlen in diesem Herbst – etwa wegen der Delta-Mutante – wieder steigen, erneut auf eine rein politische Abwägungsentscheidung hinauslaufen. Es ist dabei völlig egal, ob die Kinder sich zwei- oder (wie vorgesehen in der ersten Schulwoche) dreimal in der Schule selbst testen. Es ist egal, ob in den Sommerferien irgendwo noch hundert Luftfilter mehr ausgeliefert wurden oder ob zum Schuljahresbeginn alle noch eine Woche länger Maske tragen im Unterricht (bisher ist eine Maskenpflicht für die ersten beiden Schulwochen vorgesehen).

Letztlich geht es darum, wie viel Priorität man offenen Schulen einräumt. Denn sollte die Inzidenz wieder so weit steigen, dass Kontakte reduziert werden müssen, ist die Frage: In welchem Bereich des öffentlichen Lebens fängt man mit dem Reduzieren an – und wie schnell landet man dann bei den Schulen? Zur Erinnerung: Bisher hat man sich die ganze Pandemie hindurch immer davor gescheut, Betrieben eine wirkliche Homeoffice-Pflicht aufzuerlegen. Es gibt lediglich die Angebotspflicht (die zum Juli hin ausläuft).

Sollte man noch mal an den Punkt gelangen, dass der Schulbetrieb tatsächlich eingeschränkt wird, muss sich die Bildungsverwaltung allerdings auch fragen lassen: Was macht sie mit Schulen, die sich noch nicht „auf den Weg gemacht“ haben, wie es immer so schön heißt. Die kein Konzept fürs Homeschooling haben, oder kein Konzept, wie sie „ihre“ Kinder trotz Homeschooling erreichen können?

Es ist, wie gesagt, inzwischen vieles da an Infrastruktur. Aber die Ansagen könnten klarer werden. Auch viele Entscheidungen pro und contra Schulschließungen sind schon mal abgewogen worden. Aber man könnte daraus klüger geworden sein. Man könnte sich beim nächsten Mal zum Beispiel für den Präsenzunterricht entscheiden und gegen die Präsenz in den Betrieben.

Vielleicht muss man das mit den großen Hoffnungen fürs neue Schuljahr auch eher so sehen: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Anna Klöpper

Im langen Schatten des Schlosses

Denkmalfreunde stören sich am geplanten Berliner Flussbad

Ein Schloss kommt selten allein. Vor allem die Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses hat viele Begehrlichkeiten im Gepäck. Dieses städtebauliche „Wer A sagt, …“ begann schon nach der Entscheidung für das Humboldt Forum im Gewand des wiedererrichteten Preußenschlosses. Warum nicht jetzt auch „B sagen“, also die Altstadt auf der anderen Seite der Spree wiederaufbauen, hieß es bald. Vorbilder gab es ja genug, auf die die Freunde des historischen Berlins verweisen konnten: den Römer in Frankfurt am Main oder den Neumarkt in Dresden.

Diese „große“ historische Lösung konnte bekanntlich abgewehrt werden. Nun aber kommen die vielen kleinen Begehrlichkeiten, die die Sache in der Summe nicht besser machen. Bei der Bauakademie von Karl Friedrich Schinkel ist zwar die Finanzierung geklärt, die Nutzung und die Gestalt des Wiederaufbaus sind es nicht. Die Stimmen derer, die eine historistische Rekonstruktion befürworten, wurden schon vor fünf Jahren erhoben.

Eine davon stammt von Hermann Parzinger. Der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz schrieb damals ganz im Sinne von „Wer A sagt, …“: „Spätestens wenn der Wiederaufbau des Berliner Schlosses vollendet ist, wird man die aus Plastikplanen und Aluminiumgestänge bestehende Attrappe der Bauakademie als immer unerträglicher empfinden“, war in einem Beitrag von ihm im Tagesspiegel zu lesen. „Wenn es überhaupt ein Gebäude in der Mitte Berlins gibt, das exemplarisch für die architektonische Modernität und Innovationskraft der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts steht, dann ist es die Bauakademie. Und wenn es ein Gebäude gibt, das es als Zeugnis des Vergangenen in dieser Mitte Berlins wert ist, wiederzuerstehen, dann dieser revolutionäre Ziegelbau von 1836.“

Natürlich gab es auch Gegenstimmen. Sie verlangten, den innovativen Geist Schinkels in einen Wettbewerb mit einfließen zu lassen. So warf der Kunsthistoriker Adrian von Buttlar die Frage auf, wie Schinkel selbst wohl auf einen Wiederaufbau reagieren würde. Von Buttlar war überzeugt: „Man ehrt Schinkel nicht, wenn man ihn rekonstruiert.“

Das jüngste Beispiel an Begehrlichkeit ist die Debatte über das geplante Flussbad. Am Steilufer über der Spree, droben auf der Schlossfreiheit, soll zwar nicht wieder das Kaiser-Wilhelm-­Na­tio­nal­denk­mal entstehen. Aber auch die Initiatoren des Einheits- und Freiheitsdenkmals, das dort derzeit errichtet wird, haben in ihrem Gestus etwas Cäsarisches. Am Donnerstag gaben sie auf einer Pressekonferenz zu bedenken, dass der gläserne Fahrstuhlturm, der neben dem Denkmal die Höhe zwischen Spree und Schlossfreiheit überwinden soll, ein „Stinkefinger“ gegen ihr Denkmal sei.

Natürlich geht es aber nicht gegen den Fahrstuhl und auch nicht gegen die Freitreppe, deren behindertengerechte Ergänzung er ist. Unerträglich ist den Denkmalinitiatoren der Gedanke an ein Flussbad, in dem einmal Berlinerinnen und Berliner und auch Touristen schwimmen können. Man habe nichts gegen ein Flussbad, tat Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse kund, aber müsse das ausgerechnet hier entstehen?

„Ausgerechnet hier“: Die Begehrlichkeiten, die das Schloss weckt, haben längst nicht nur den Wunsch nach historischen Rekonstruktionen geweckt. Sie reichen nun auch bis zur Frage, wer rund um das Schloss und die Museumsinsel erwünscht ist oder nicht Uwe Rada

Allerorten Outing mit Symbolpolitik

Olympiastadion leuchtet regenbogenfahnenbunt

Zwei Herzen schlagen, ach, in meiner Brust!“, möchte man rufen angesichts der neu entdeckten Liebe der Deutschen zum Regenbogen (und zur Solidarität mit LGBTIQ). Das Stadion in München blieb am Mittwoch zum Länderspiel gegen Ungarn zwar blass, aber der Rest des Landes erstrahlte bunt: Firmenlogos auf Twitter, Profilbilder von Privatleuten, ein Windrad in München und Fußballstadien bundesweit. Ganz vorn dabei: Berlin, auch das hiesige Olympiastadion leuchtete farbig, Spielort des Bundesligisten Hertha BSC, der schon seit Jahren krampfhaft versucht, an den hedonistisch-progressiven Geist der Stadt anzudocken.

Doch was bringt das alles? Nützt es politisch etwas, ein paar farbige Glühbirnen anzuknipsen? Nein, natürlich nicht. Farbige Profilbilder oder Stadionbeleuchtungen ändern nichts an bestehender Diskriminierung, weder in Deutschland noch in Ungarn noch sonst wo. Das ist alles reine Symbolpolitik ohne konkreten Nutzen – aber gleichzeitig eine Symbolpolitik, die es jahrelang so nicht gab, die man jahrelang kaum für möglich gehalten hätte.

Ist schon irre, wie sich auf einmal fast alle Parteien, die großen Firmen, die großen Sportklubs, die Bundeskanzlerin und die Präsidentin der Europäischen Kommission um die Regenbogenfahne scharen. Natürlich ist das wohlfeil und kostenlos, natürlich ist es widerwärtig, wie hier Deutschland seine eigene moralische Überlegenheit zelebriert, wie mit dem Finger auf Ungarn als rückwärts­gewandtes Land gezeigt wird. Es ist ekelhaft, dass sogar die EU-Grenzpolizei Frontex ihr Logo bunt einfärbt. Das ist Rainbow-Washing, menschenfeindliche Politik mit einem Diversitätsmäntelchen. Den Flüchtlingen in der Ägäis ist es egal, ob der EU-Scherge, der ihr Schlauchboot gerade zurück aufs offene Meer schubst, einen Regenbogensticker an der Jacke hat.

In der deutschen Innenpolitik die gleiche Verlogenheit: Markus Söder lässt sich mit Regenbogen-Mundschutz im Stadion fotografieren, dabei hat Bayern als einziges Land keinen Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie, dabei war die Union immer Bremse der Gleichberechtigung. Alle Fortschritte in Sachen LGBTIQ-Politik in Deutschland mussten gegen Widerstand der Union durchgeboxt werden. Noch immer dürfen trans Menschen ihr Geschlecht nicht selbst bestimmen, noch immer werden LGBTIQ bei der Blutspende benachteiligt.

Andererseits: Söder, ein Populist und Instinktpolitiker, eignet sich den Regenbogen an. Fußball, der Hort verklemmter Männlichkeit, macht auf queer-friendly. Vor zehn Jahren wäre das undenkbar gewesen. Es ändert sich was in dieser Gesellschaft. Viele der neuen Regenbogen-Fans trauen sich zwar nicht, die Wörter „schwul“ oder „lesbisch“ oder „homosexuell“ zu sagen, aber die Geste ist eindeutig: LGBTIQ gehören dazu.

Da sind die zwei Herzen, die da schlagen in der Brust, die widerstrebenden Gefühle: die Freude dazuzugehören, das Misstrauen, wie ernst das jetzt gemeint sein soll, die Wut, vereinnahmt und nur als Feigenblatt benutzt zu werden. Es ist kompliziert. Malte Göbel

Das ist alles reine Symbol­politik ohne konkreten Nutzen – aber gleichzeitig eine Symbol­politik, die es jahrelang so nicht gab, die man jahrelang kaum für möglich gehalten hätte

Malte Göbel über das regenbogenfahnenbunte Olympiastadion