Historiker durchleuchten Außenamt

Joschka Fischer lässt die NS-Geschichte seiner Behörde von einer Expertenkommission untersuchen und zieht damit die Konsequenz aus der „Nachruf-Affäre“. Der ausgewiesene Spezialist für das Thema gehört dem Gremium jedoch nicht an

VON RALPH BOLLMANN

Kurz vor Beginn der heißen Wahlkampfphase macht Außenminister Joschka Fischer (Grüne) seine Ankündigung wahr, die NS-Vergangenheit des Auswärtigen Amts aufarbeiten zu lassen. Wie eine Sprecherin bestätigte, soll eine fünfköpfige Kommission sowohl die Rolle des Auswärtigen Amts im Dritten Reich als auch die personelle Kontinuität nach dem Krieg untersuchen.

Damit zieht Fischer die Konsequenz aus dem Streit um Nachrufe für verstorbene Diplomaten, der im April die Gemüter im Amt erhitzt hatte. Der Minister hatte die Praxis ehrender Nachrufe in der Behördenpostille internAA gestoppt, nachdem dort eine Würdigung des früheren Generalkonsuls Franz Nüßlein erschienen war. Nüßlein war als Staatsanwalt während des Krieges für zahlreiche Todesurteile verantwortlich.

Der Kommission sollen die drei deutschen Historiker Norbert Frei aus Jena, Klaus Hildebrand aus Bonn und Eckart Conze aus Marburg angehören, außerdem ihr amerikanischer Kollege Henry A. Turner von der Yale University sowie der israelische Deutschlandexperte Mosche Zimmermann. Frei hat sich intensiv mit der Geschichtspolitik der Bundesrepublik befasst, Hildebrand ist Autor eines Standardwerks über das Dritte Reich. Turner hat gerade die Kontakte des Automobilkonzerns General Motors zum nationalsozialistischen Regime untersucht.

Nicht in die Kommission berufen wurde der Osnabrücker Historiker Hans-Jürgen Döscher, der zwei grundlegende Studien über das Auswärtige Amt im Dritten Reich und in der Adenauerzeit geschrieben hat. Unabhängige Arbeiten über diese dunklen Kapitel der deutschen Diplomatiegeschichte wurden vom Auswärtigen Amt immer wieder behindert. Oft waren die fraglichen Akten, die ein Wissenschaftler einsehen wollte, zufällig „im Geschäftsgang“.

Zu Beginn soll die Arbeit der Kommission vom Auswärtigen Amt bezahlt werden. Für den weiteren Verlauf wird jedoch auch eine Finanzierung durch wissenschaftliche Stiftungen in Betracht gezogen, um die Unabhängigkeit der Arbeitsgruppe zu dokumentieren. Sie wird ihre Arbeit Anfang September, also noch vor der Bundestagswahl, mit einem Kolloquium aufnehmen. Dabei sollen die Wissenschaftler einen konkreten Arbeitsplan verabschieden. Am Ende der auf drei bis fünf Jahre geschätzten Untersuchung wird wahrscheinlich ein mehrbändiges wissenschaftliches Werk stehen.

In den vergangenen Jahren ließen zahlreiche andere Institutionen der Bundesrepublik, darunter auch viele Privatunternehmen, ihre NS-Geschichte von unabhängigen Historiker untersuchen. Nicht so das Auswärtige Amt. Dort pflegte man den Mythos einer unabhängigen Diplomatie, die gegenüber ideologischen Anfechtungen immun geblieben sei. Tatsächlich haben die deutschen Auslandsvertretungen bei der Vernichtung der Juden und der Ausplünderung der besetzten Länder oft genug Hilfestellung geleistet.

Nach der Neugründung des Auswärtigen Amtes 1951 gelangten viele Beamte, die bereits vor 1945 Dienst taten, wieder in führende Positionen. Die Zahl der ehemaligen NSDAP-Mitglieder war in den Fünfzigerjahren sogar höher als die Zahl der Parteimitglieder vor 1945. Die Personalpolitik des Auswärtigen Amtes war bereits damals Gegenstand eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, wobei die Abgeordneten allerdings bemüht waren, eine „verhängnisvollen Aufwirbelung der Personalverhältnisse und einen allgemeinen deutschen Prestigeverlust“ zu vermeiden.