berliner szenen
: Erregendes bei Kaffee und Kuchen

Drei Teller mit Streuselkuchen und drei Tassen Kaffee. Eine der Damen balanciert das Tablett zum Tisch. Haut und Haaren nach zu urteilen, sind die drei um die 80, dem Temperament nach und der Empörungsbereitschaft eher 30. Eine schimpft über ihren Mann. Den ganzen Tag hockt er stumm vor dem Fernseher und ist nicht vor die Tür zu bewegen. Wo man doch endlich und bei diesem schönen Wetter. Aber was sie noch mehr auf die Palme bringt: Er will das Testament ändern. Nur die Tochter soll erben, der Sohn soll leer ausgehen, weil er inzwischen selbst genug hat. Und das soll sie, die Mutter, ihm jetzt verklickern. Seit Wochen streiten sie zu Hause darüber, und ihr Mann wird immer ausfallender. „Schmeiß ihn raus“, rät eine der drei, „der ist dir noch nie gut bekommen.“ Das empfindet sie selbst so, aber immerhin kann er alles reparieren, noch nie mussten sie einen Handwerker bezahlen. Die dritte im Bunde findet das beneidenswert, aber auf Dauer nicht ausreichend. „Der kann doch noch zwanzig Jahre leben, willst du das solange aushalten?“

Während die drei die materiellen Vor- und Nachteile abwägen, telefoniert am Nachbartisch ein Mann, ohne dass die Damen von ihm Notiz nehmen. Auch er hat Empörendes erlebt und muss jetzt seinem Kumpel lautstark davon berichten: Gerade jetzt, wo er sein Bistro wieder öffnen darf, hat ihm der Kellner abgesagt. Das ganze Jahr über hat er ihn mit durchgefüttert, und jetzt kommt der Gangster einfach nicht. Zwei von den besten Messern hat er auch noch geklaut. Minutenlang dröhnt die Hasstirade über die Cafétische hinweg, bis der Mann plötzlich fragt: „Sag mal, legst du gerade Hand an dich? Das klingt so. Also, mach fertig und ruf mich zurück. Muss ja nicht das ganze Café hier mitkriegen.“ Jetzt sind die drei Damen doch hellhörig geworden.

Claudia Ingenhoven