Mann, der Cage!

MUSIKTHEATER Die Staatsoper beging am Samstag den 100. Geburtstag des Komponisten John Cage. Eine Lesung widmete sich den komischen Aspekten der Texte des bekennenden Avantgardisten und Pilzesammlers

Ist der Abstand zu Cage so groß, dass man seinem Werk nur noch mit Klamauk begegnen kann?

John Cage, war das nicht der mit dem Zufall? Oder der mit der Stille? Genau, der mit den „4’33’’ “, dem Stück, in dem vier Minuten 33 Sekunden lang nichts gespielt wird! Mit seinen extremen konzeptuellen Ansätzen hat der 1912 geborene Komponist John Cage Klassiker ganz eigener Art geschaffen und gehört mittlerweile fast genauso zum Musikkanon wie Bach oder Brahms. Zwar mögen seine Werke seltener aufgeführt werden, ein runder Geburtstag, bei Cage zugleich sein 20. Todestag, ist allemal ein Anlass, sich seinem Schaffen ausführlich zu widmen. Die Werkstatt der Staatsoper tat das am Samstag im Rahmen des Musiktheaterfestivals „Infektion!“ unter der Überschrift „Die Musik ist los – 100 Jahre John Cage“.

Zu den Besonderheiten der Karriere des Avantgardisten Cage gehört, dass er vor seiner Musik zunächst Texte veröffentlichte. Sein berühmtestes Buch wurde der Sammelband „Silence. Lectures & Writings“ von 1961. Darin finden sich auch die „Lecture On Nothing“ und „45’ for a Speaker“, zwei anschauliche Beispiele für Cages Aussage, dass er Vorträge genauso mache wie ein Musikstück. Der Schauspieler Klaus Schreiber bot die beiden Werke in einer technisch aufmotzten Inszenierung, die sich insbesondere auf die komischen Aspekte des Materials konzentrierte.

Der „Vortrag über nichts“, der mit den Worten „Ich bin hier, und es gibt nichts zu sagen“ beginnt, ist ein fortlaufender Text, den Cage auf vier Spalten verteilt hat, um ein rhythmisches Lesen zu erleichtern. Künstlichkeit sollte dabei vermieden werden. Doch Schreiber nutzte die Möglichkeit der heutigen Videotechnik, um die vier Spalten in ein Bild zu setzen, und so standen drei projizierte und ein echter Klaus Schreiber auf der Bühne, um den Vortrag mit verteilten Rollen und eher unnatürlichem Stocken darzubieten.

Das war als Idee witzig und lenkte auch kaum vom Text ab, hinterließ aber den Eindruck, man wisse mit der Sache nicht mehr so richtig viel anzufangen. Dabei bietet der Vortrag, seinem Titel zum Trotz, immer noch einiges an kontroversen Aussagen. Dass Schallplattensammlungen keine Musik seien ist ein Gedanke, der heute von ehemaligen Popmusikern wie dem Briten Bill Drummond für das digitale Zeitalter aufgegriffen wird. Cages Diktum hingegen, Schallplattenspieler seien bloße Dinge und keine Musikinstrumente, wurde schon von ihm selbst in seinen Kompositionen mehrfach praktisch widerlegt.

Für „45’ for a Speaker“ wurde das Konzept der Vierteilung aufrechterhalten, wenn auch mit weniger überzeugendem Ergebnis: Bei dem Werk läuft am linken Rand eine Zeitachse, die dem Sprecher das Tempo zum Rezitieren vorgibt, auf der rechten Seite stehen Regieanweisungen wie „Husten“, „Nase putzen“ oder „Streichholz anzünden“. Schreiber machte all diese Elemente sichtbar und unterbrach seinen Vortrag nicht nur vorschriftsgemäß durch diverse Körpergeräusche und -bewegungen. Er hatte eigens seine drei projizierten Ichs dazu abgestellt, die Zeitleiste vorzutragen – mit einzelnen Parts für durchlaufende Sekunden, Zehnerzahlen und vollständige Minuten, ergänzt um einen stummen Dirigenten, ebenfalls von Schreiber gespielt. Ist der Abstand zu Cage mittlerweile so groß, dass man seinem Werk aus einer Mischung von zu großem Respekt und hilflosem Eifer nur noch mit Klamauk begegnen kann? Das wäre schade, selbst wenn Cage gewiss nichts gegen Humor einzuwenden hatte. Und so rief Schreiber nach seinem Abgang hinter der Bühne hervor: „Mann, der Cage!“

TIM CASPAR BOEHME

■ „Infektion! Festival für Neues Musiktheater“, bis 15. Juli