Britische Bürger

AUS LONDON RALF SOTSCHECK

Die vier Anschläge auf die Londoner U-Bahn und den Bus der Linie 30 am vorigen Donnerstag waren offenbar Selbstmordattentate. Die vier Täter sind in Großbritannien geboren, gab die Polizei gestern Abend bekannt, drei von ihnen kamen aus West-Yorkshire. Der Durchbruch kam gestern früh, nachdem die Polizei den Attentäter, der den Bus in die Luft gesprengt hatte, identifizieren konnte. Bis vorgestern hatte die Polizei bestritten, dass sich der Attentäter bei dem Anschlag auf den Bus selbst getötet habe, obwohl Überlebende von einem „übernervösen Mann“ erzählt haben, der ständig in seine Aktentasche schaute.

Einzelheiten wurden bisher nicht bekannt gegeben, doch die Identifizierung löste eine umfassende Polizeiaktion im nordenglischen Leeds aus, die morgens um halb sieben begann. Mehr als 600 Menschen wurden aus ihren Häusern im Stadtteil Burley evakuiert, bevor die Polizei sechs Häuser durchsuchte. In dem Viertel liegt eine der Moscheen von Leeds.

Am Nachmittag sprengte die Armee die Tür eines Hauses in Hyde Park Road, wo nach Angaben der Nachbarn ein 22-jähriger Mann mit seiner Familie gelebt habe, seit den Anschlägen jedoch verschwunden sei. Die Polizei stellte Dokumente sicher. Ob sie auch Sprengstoff fand, ist nicht bekannt. Ein Mann wurde später in Leeds verhaftet und zur Vernehmung nach London gebracht.

Der Londoner Polizeichef Ian Blair, der die Aktion gemeinsam mit der Polizei von Yorkshire leitete, sagte, die Hausdurchsuchungen haben „bedeutende Ergebnisse“ zutage gefördert. Die Operation beruhe auf Erkenntnissen der Geheimdienste und stehe „in direkter Verbindung“ mit den Londoner Anschlägen, bei denen nach bisherigem Stand 52 Menschen starben.

Ein Auto wurde am Bahnhof Luton sichergestellt. Die Polizei erklärte, dass dieses Auto wahrscheinlich von den Attentätern benutzt wurde. Der Bahnhof wurde geschlossen. Bei einer Pressekonferenz am Abend erklärte Peter Clark von der Anti-Terrorismus-Einheit, die Auswertung von rund 2.500 Videobändern aus Überwachungskameras habe ergeben, dass die vier Terroristen am Donnerstag kurz vor 8.30 im Londoner Bahnhof King’s Cross angekommen seien. Von dort aus bestiegen drei von ihnen verschiedene U-Bahnen, in denen kurz darauf die Bomben explodierten. Persönliche Dokumente mit den Namen der drei Attentäter sind in der Nähe der Explosionsstellen gefunden worden. Einer der Attentäter wurde bereits am Donnerstagmittag von seiner Familie als vermisst gemeldet.

Die Bombe im Bus der Linie 30 in der Nähe von King’s Cross ist erst eine Stunde später gezündet worden. Offenbar haben die Attentäter damit gerechnet, dass viele U-Bahn-Passagiere aufgrund der Anschläge in den Bus umsteigen würden. Peter Clark sagte gestern Abend, dass weitere Informationen in Kürze zugänglich gemacht werden. Die Untersuchung bewege sich jedenfalls mit hohem Tempo.

Hunderte Polizisten fahnden derzeit nach den Tätern. Allein das Material von 2.500 Überwachungskameras und Hinweise von etwa 2.000 Anrufern müssen ausgewertet werden. Experten versuchen, mit Hilfe von Funden an den Tatorten Rückschlüsse auf die Bomben zu erhalten – um damit möglicherweise eine Spur zu den Tätern zu erhalten. Vertreter europäischer Sicherheitsbehörden vermuten eine bislang unbekannte lokale Al-Qaida-Zelle hinter den Anschlägen.

Die britische Hauptstadt stand gestern weiter im Zeichen erhöhter Sicherheitsvorkehrungen, auch wenn sich die Verwaltung um eine Rückkehr zur Normalität bemüht. Eine Anweisung an die rund 10.000 Angehörigen der US-Luftwaffe auf zwei Stützpunkten in Ostengland, sich aus Sicherheitsgründen nicht nach London zu begeben, wurde wieder aufgehoben.

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