NOSTALGIE
: Dieses Stück Spree

Genau an diesem Stück Spree zogen wir uns aus

Wenn ich heute über die Weidendammer Brücke gehe, werde ich immer ein bisschen nostalgisch. Kann man „nostalgisch“ sagen, wenn etwas nur drei, vier Jahre zurück liegt? Egal. Die Weidendammer Brücke ist das Stück von der Friedrichstraße, das über die Spree geht. Wolf Biermann hat über die Brücke ein Lied gesungen, „Ballade vom Preußischen Ikarus“. Auch egal. Als ich noch in Mitte gewohnt habe, gab es in unserem Haus viele Partys. Auf einer dieser Partys gab es so eine Willkommensbowle, in einem riesigen Topf. Irgendwas Rotes, mit Beeren. Alle mussten sich in einer Reihe vor dem Topf anstellen und aus einem Pokal von der Bowle trinken. Ich stellte mich dreimal in die Reihe.

Später saßen alle auf dem Innenhof und kifften. Die Liegestühle waren von einer Strandbar geklaut. Manche hatten diese blöden Ampelmännchen drauf, manche Bierwerbung. Ab und zu schimpften die Nachbarn rüber, dass es zu laut sei. Dann machte irgendwer „Psssst“ und jemand anders sagte „Scheiß Bonzenschweine“ und dann ging es weiter. Es war Sommer und gerade noch der Teil der Nacht, wo es noch nicht hell wird. Wobei, in Mitte ist es ja immer ein bisschen hell, überall. Irgendwer beschloss, man müsse jetzt baden gehen, und alle zogen los zur Spree. Und genau an diesem Stück Spree, zwischen Weidendammer Brücke und Museumsinsel, zogen wir uns aus. Manche behielten ihre Kleider an. Und dann sprangen wir rein.

Ich glaube, ich sprang Hand in Hand mit einer Frau, die ich an diesem Abend kennen gelernt hatte und die am gleichen Tag wie ich Geburtstag hatte. Das Wasser war schön kalt und wir lachten wie bekloppt. Manche trauten sich nicht rein. Das war gut, denn am Ende kam ich nicht von alleine raus, weil das Ufer höher war als meine Arme lang. Jemand zog mich raus und am nächsten Morgen hatte ich blutige Striemen an den Füßen.MARGARETE STOKOWSKI