Exzentriker im Tor

Rogerio Ceni, Keeper des FC São Paulo, will im Finale der Copa Libertadores wieder größere Ausflüge unternehmen

SÃO PAULO taz ■ Plopp. Plopp. Immer wieder springen die schwarz-weißen Fußbälle auf Rogerio Cenis Internetseite lustig auf und ab. Ganz unten links gibt es noch ein spezielles Fenster: Wer dort draufklickt, kann sich unzählige gehaltene Elfmeter anschauen, die von ein und demselben Torhüter pariert wurden, von Rogerio Ceni, dem Torhüter beim FC São Paulo. Seit dreizehn Jahren schon. In dieser Zeit hat er nur selten gefehlt, höchstens, wenn er wegen einer Verletzung pausieren oder eine Sperre absitzen musste. So kam er auf über 600 Spiele.

Am Donnerstag wird er in die Geschichte eingehen, da ist er sich sicher. Denn heute Nacht will er mit seinem Verein die Copa Libertadores gewinnen, das südamerikanische Pendant zur Champions League – gegen Atlético Paranaense, auch aus Brasilien. Das Hinspiel endete 1:1. Es wäre das dritte Mal, dass São Paulo diesen Titel gewinnt. Bereits beim letzten Mal, 1993, war Ceni dabei. Damals spielte Rogerio allerdings nicht mit, sondern saß lediglich auf der Ersatzbank. Im Jahr 1994 unterlag der FC im Endspiel Velez Sarsfield aus Argentinien im Elfmeterschießen und verpasste es nur denkbar knapp, den Titel dreimal hintereinander zu gewinnen.

Rogerio Ceni ist, wie viele seiner südamerikanischen Kollegen, ein exzentrischer Typ und verfügt über eine dieser typischen Macken von erfolgreichen Torhütern: Er ist der Meinung, dass er Elfmeter und Freistöße weitaus besser als die Feldspieler schießen kann. Weit über 30 Tore hat er erzielt. „Sou assim“, meint er nur, wenn er gefragt wird, ich bin einfach so. Wie alles begann? „Es war bei einem Elfmeterschießen im November 1994 gegen Gremio Porto Alegre. Ich verwandelte meinen Elfer recht sicher, seitdem habe ich Gefallen daran gefunden.“

Nun kam ein weiterer Spleen hinzu. Zu Beginn wunderten sich seine Mannschaftskollegen noch sehr, als Ceni bei Freistößen in der Nähe des gegnerischen Strafraums wie ein Wilder über den Platz rannte, den Kick ausführte und sich beeilen musste, um rechtzeitig wieder zurück im heimischen Torraum zu sein. Manchmal, ziemlich oft sogar, kann er sich Zeit lassen, dann nämlich nimmt er die Glückwünsche seiner Mitspieler entgegen – wenn er wieder einmal getroffen hat. Allein im diesjährigen Wettbewerb hat er bereits fünf Treffer auf seinem Konto, Freistöße und Elfer eben, seine Spezialität. Mit dieser Quote hat er sogar den besten Torschützen des Klubs, den von der Hertha heimgekehrten Luizão (vier Tore), übertroffen. Beim Schuss legt er sich fast so extrem wie David Beckham in die Seitlage, dennoch wirken seine Freistöße auf den ersten Blick wie lange, geschmeidige Abschläge.

Wenn der Ball dann kurze Zeit später im Winkel einschlägt, sind ihm jedoch die Bewunderung seiner Fans und die Wut des gegnerischen Torwarts sicher. Zur brasilianischen Nationalmannschaft wurde Ceni jedoch nur sporadisch nominiert. Gegen Mexiko debütierte er zwar 1997, doch mit unbequemen Äußerungen gegenüber diversen Nationaltrainern stand er sich selbst im Weg. So wartete er oft vergeblich auf einen Anruf des Chefs der Selecão. Bei der WM 2002 war er immerhin als dritter Torhüter dabei und wurde spielfrei Weltmeister. Doch dies ist „pasado“, vorbei.

Falls am Donnerstag wieder ein Freistoß in Tornähe für den FC São Paulo gepfiffen wird und sich sein neuer Mitspieler, der Ex-Dortmunder Marcio Amoroso, es wagen sollte, sich den Ball zum Schuss zurechtzulegen, dann wird er einen leichten Stoß von hinten verspüren. Von Rogerio Ceni. Und wenn der Ball dann satt im Torwinkel einschlägt, klingt es vielleicht ein wenig wie die lustigen Bälle auf seiner Internetseite. Plopp. Plopp.

STEFFEN RÖSSEL