die woche in berlin
: die woche in berlin

Wieso die Idee, den Wechselunterricht zunächst beizubehalten, vielleicht gar keine schlechte ist. Wie der Senat die eigene Mietenpolitik begräbt. Und wie Exfamilienministerin und Noch-SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey sich in der Affäre um ihre Doktorarbeit als aufrechte Kämpferin inszeniert

Vielleicht nicht optimal, aber sinnvoll

Alles öffnet, nur die Schulen bleiben im Wechselunterricht

Alles macht jetzt so langsam wieder auf, man kann wieder schwimmen und ins Kino gehen, draußen Milchkaffee trinken und von der nächtlichen Ausgangssperre befreit mit einem Bier um die Häuser laufen – nur die Schulen, die bleiben noch bis nach den Sommerferien zu. Das ist es, was, ein wenig verknappt, von den Öffnungsschritten hängen blieb, die der Senat am Dienstag für Berlin beschlossen hatte. So verkürzt – und so falsch.

Tatsächlich ist es ja nicht so, dass die Schulen geschlossen wären. Seit dem Ende der Osterferien sind alle Jahrgangsstufen in Berlin im Wechselunterricht – zugegeben, das ist noch nicht wieder der reguläre Schulalltag mit fünf oder sechs Unterrichtsstunden täglich. Und es ist weniger, als sich derzeit andere Bundesländer, etwa das Nachbarland Brandenburg, trauen, den Eltern und SchülerInnen zu versprechen: Dort sollen die Schulen ab Juni, also noch vor den Sommerferien, wieder komplett für den Präsenzunterricht öffnen. Vorausgesetzt natürlich, die Infektionslage entwickelt sich weiter so positiv – sinkende Inzidenz, steigende Impfquote – wie bisher.

In Berlin entwickelt sich die Infektionslage ebenfalls vergleichbar positiv, die Inzidenz bewegt sich inzwischen auf einen Wert von unter 50 zu. Trotzdem ist eine Sache, in diesem Fall eben die rasche Öffnung der Schulen, nicht unbedingt richtig, nur weil es alle anderen jetzt auch machen.

Es stimmt natürlich, dass es viele Eltern gibt, für die jeder weitere Tag Doppelbelastung aus Homeoffice und Homeschooling nur noch schwer auszuhalten ist. Und die wiederholte Warnung von Kinder- und Jugendärzten vor negativen Langzeitfolgen durch Schulschließungen gerade auch für Kinder, deren Eltern sich weniger ums Homeschooling kümmern (können) mag wohl niemand ernsthaft anzweifeln.

Aber wenn man mit Schulleitungen und Lehrkräften spricht, hört man eben auch immer wieder dieses: Der Wechselunterricht hat sich gut eingespielt. Wir erreichen die Kinder. Oft klappt das Lernen sogar besser als zuvor, weil die Gruppen viel kleiner sind. Die, die wir nicht erreichen, holen wir sowieso schon von Anfang der Pandemie an in Kleingruppen in die Schule und betreuen sie extra.

Ein Stimmungsbild, das sicher keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Nun sind aber Schulöffnungen nicht vergleichbar mit der Öffnung von Biergärten und Kinos: Letztere geht mit tagesaktuellem Schnelltest oder Impfnachweis. In der Schule wird aber nur zweimal die Woche getestet, im Präsenzbetrieb mit vollen Klassen sind Abstände nicht einzuhalten, und Impfungen für Jugendliche ab 12 Jahren kommen frühestens im Sommer – falls bei der Zulassung des Biontech-Wirkstoffes alles glatt läuft. Viele Lehrkräfte, gerade an weiterführenden Schulen, sind ebenfalls noch nicht geimpft, weil sie als Prioritätsgruppe 3 erst seit Anfang Mai impfberechtigt sind.

Insofern ist der Wechselunterricht bis zu den Sommerferien das Maß an Schulöffnung, das vielleicht nicht optimal, aber sinnvoll ist. Anna Klöpper

Eine toxische Einigung

Der Senat streitet über die Fortführung des Mietendeckels

Ein Senat, der davon überzeugt ist, dass der Mietendeckel der richtige Weg ist, auch wenn ihm dafür auf seiner Landesebene die Zuständigkeit fehlt, und der Mie­te­r*in­nen schützen will, hätte gerade leichtes Spiel: Er könnte die Bestimmungen des Mietendeckels für die 330.000 Wohnungen der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften weitergelten lassen. Im beginnenden Wahlkampf würden SPD, Linke und Grüne damit signalisieren, dass ihnen die Nöte vieler Berliner*in­nen weiterhin am Herzen liegen.

Genau das gegenteilige Signal haben aber Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) und Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke) gesendet. Am vergangenen Sonntag legten beide dem Koalitionsausschuss eine Einigung vor, die den Wohnungsunternehmen ab Oktober gestatten soll, die Mieten um die Höhe der Inflation oder maximal 2 Prozent anzuheben; ebenso sollen abgesenkte Mieten wieder auf ihr vorheriges Niveau steigen. Wenn der Mietendeckel mit dem Urteil in Karlsruhe tot war, soll er mit Kollatz’ und Scheels Vorschlag nun endgültig begraben werden.

Noch ist dieser soziale und politische Sprengstoff nicht gezündet. Der Koalitionsausschuss vertagte sich, ein nächster Termin soll eine Einigung bringen, die dann übernächsten Mittwoch im Senat beschlossen werden kann. Damit der Koalition nicht auf den letzten Metern alles um die Ohren fliegt, müssen Änderungen her. Linke und Grüne hatten jüngst Parteitagsbeschlüsse gefasst, in denen sie die Fortdauer der Deckel-Bestimmungen für die Wohnungsunternehmen forderten. Dass Scheel trotzdem vor den Interessen der Gesellschaften und des Finanzsenators eingeknickt ist, ist mehr als unklug und gefährdet das Image der Linken als Mie­te­r*in­nen­par­tei.

Es gibt gute Gründe, den Mietendeckel zu verteidigen. Denn steigende Mieten bedeuten immer soziale Härten und führen dazu, dass Mie­te­r*in­nen anderswo knapsen müssen. Tatsächlich durften auch unter dem Deckel-Gesetz die Mieten steigen – ab 2022 um bis zu 1,3 Prozent. Es gibt keinen Grund, diesen Spielraum zu erhöhen. Die Wohnungsbaugesellschaften haben die Mindereinnahmen des Deckels längst eingepreist; sie machen Gewinne, trotz ihrer verstärkten Neubauaktivitäten. Den Deckel müssen sie akzeptieren, ebenso wie die SPD.

Erik Peter

Wenn der Mietendeckel mit dem Urteil in Karlsruhe tot war, soll er mit Kollatz’ und Scheels Vorschlag nun endgültig begraben werden

Erik Peter über neue mietenpolitische Pläne der Koalition

Von schönen Worten und Werten

Giffey tritt als Ministerin zurück, bleibt aber Spitzenkandidatin

Wortbrüchig zu sein, gehört in der Politik leider zum Geschäft. Bei inhaltlichen Fragen lässt sich das meist auch gut begründen. Ziel A oder Plan B, groß verkündet im Wahlkampf oder Parteiprogramm, sei „leider, leider“ in der Umsetzung an Koalitionspartner C gescheitert, heißt es dann gerne. Anders verhält es sich mit persönlichen Verfehlungen, also jenen, die unmittelbar mit der eigenen Person zu tun haben. Das „unmittelbar“ ist dabei zentral: Dank umfassender Ignoranz gelingt es so manchem CSU-Bundesverkehrsminister, alle Vorwürfe wegen Verschwendung, Inkompetenz etc. auszusitzen.

SPD-Bundesfamilienministerin Franziska Giffey indes hatte 2019 angekündigt, zurückzutreten, wenn die Freie Universität ihr den verliehenen Doktortitel aberkennen sollte. Nach mehreren Verfahren verdichteten sich in den letzten Wochen die Hinweise, dass die FU genau zu diesem Schluss kommen wird: Am Mittwoch gab Giffey ihr Amt als Ministerin daher auf. Es war die einzig mögliche Entscheidung, lediglich der Zeitpunkt ist diskutabel: Hätte sie durchhalten sollen, bis der Entzug des Titels offiziell würde? Oder hätte sie diesen Schritt schon viel früher gehen sollen?

Denn Giffey ist seit Ende 2020 Spitzenkandidatin ihrer Partei für die Berliner Abgeordnetenhauswahl am 26. September und letzte Hoffnung der Sozialdemokraten, das Rote Rathaus in dieser Farbe zu halten. Und Spitzenkandidatin bleibe sie auch, hat die SPD schnell betont. Schließlich war angesichts der Schwere der Vorwürfe absehbar, dass die Affäre um den Doktortitel im Wahlkampf eine große Rolle spielen würde: Laut der Plattform Vroniplag, die die Vorwürfe gegen Giffeys Arbeit zuerst erhoben hatte, finden sich auf gut einem Drittel der rund 200 Seiten dünnen Promotion „wörtliche und sinngemäße Textübernahmen, die nicht als solche kenntlich gemacht sind“.

Um diesen Betrug, wie das offenbare Plagiat von nicht wenigen politischen Kon­kur­ren­t*in­nen genannt wird, rasch vergessen zu machen, verzichtet die Ex-ministerin auf Schuldeingeständnisse. Die Arbeit habe sie nach bestem Wissen und Gewissen verfasst – an dieser Einschätzung halte sie fest, heißt es in ihrer Erklärung vom Mittwoch. Und: „Ich bedauere, wenn mir dabei Fehler unterlaufen sind.“ Immerhin weicht sie nicht ins „sein sollten“ aus.

Doch von einer Entschuldigung – immerhin hat sie als Ministerin Vorbildfunktion – ist keine Rede. Im Gegenteil: Sie ziehe „bereits heute“ die Konsequenz. „Damit stehe ich zu meinem Wort.“ So wird aus einer aus eigener Schuld zurückgetretenen Politikerin eine Kämpferin für das Aufrechte, Gute und die eigenen Versprechen. Das ist schon dreist. Und es geht so weiter: „Die Berliner SPD und die Berlinerinnen und Berliner können sich auf mich verlassen. Dazu stehe ich. Mein Wort gilt“, schreibt sie zu ihren Ambitionen im Wahlkampf.

Ob sie damit durchkommt, hängt davon ab, wie weit die politische Konkurrenz die Doktoraffäre auf die Agenda setzt. In den ersten Reaktionen von Grünen und CDU fehlten Forderungen etwa nach einem Rückzug aus der Berliner Politik. Das zeigt: Giffey gilt als zu stark, um sie allein wegen des erschwindelten Titels anzugreifen.

Letztlich obliegt es den Wäh­le­r*in­nen, am 26. September zu entscheiden, ob sie von einer Frau, die offenbar für einen Titel trickste, regiert werden wollen. Sprich: ob ihnen andere Werte – und Worte – wichtiger sind. Bert Schulz