Der Vitrinen-Entstauber

MUSEUM-RELAUNCH Der Leiter des Flensburger Schifffahrtsmuseums möchte sein Haus zu einem Ort des politischen Diskurses machen. Ein wichtige Rolle soll dabei die Kolonialgeschichte spielen

Etwa zehn Prozent des dänischen Ostindienhandels wurden über Flensburg abgewickelt

Thomas Overdick, der Leiter des Schifffahrtsmuseums Flensburg, steht im Erdgeschoss seines Hauses und lehnt sehr lässig an einem großflächigen Stadtmodell. „Wir sind derzeit noch ein klassisches Vitrinenmuseum“, sagt er. „Ein wenig in die Jahre gekommen, machen wir es dem Besucher relativ schwer. Aber dessen sind wir uns bewusst.“

Bevor er vor knapp zwei Jahren nach Flensburg kam, hat Overdick in Hamburg das Museum auf dem Kiekeberg auf Vordermann gebracht. Auch das Schifffahrtsmuseum will er grundlegend reformieren. „Natürlich kann man immer Geld gebrauchen, aber es sind die Ideen, die Konzepte, die am Ende zählen“, sagt er.

Overdick geht in eine Ecke, stellt sich vor eine Texttafel und verzieht das Gesicht. „Mit dem Text hier bin ich überhaupt nicht einverstanden.“ Es geht um den Ostindienhandel, als die europäischen Kolonialstaaten, zu denen auch Dänemark und damit auch Flensburg gehörte, Mittelamerika und die karibischen Inseln auszubeuten begannen. Sie bauten Kakao, Kaffee und Zuckerrohr an und mussten sich dabei mit dem subtropischen Klima abmühen. Auf der Texttafel steht: „Einen Ausweg die Inseln zu kultivieren, sah man in der Versklavung afrikanischer Neger als Arbeitskräfte.“

Dazu sind in einer Vitrine Sklavengeld und eine „Halsfessel für Sklaven“ drapiert, so wie es in vielen maritimen Museen gehandhabt wird – etwa im Tamm-Museum in Hamburg. In der dänischen Fassung des Textes – und alle Texte im Hause stehen dort selbstverständlich auch auf Dänisch – fehlt die Passage über den Sklavenhandel gleich ganz. „In Dänemark ist die eigene Kolonialzeit ein Tabu“, erzählt Overdick. „Sie wird einfach verschwiegen.“

Auch daran wird er etwas ändern: Er steht im engen Kontakt mit dem dänischen Filmemacher Anker Li, der derzeit zu den dänischen Kolonialjahren auf den heutigen Jungferninseln recherchiert und besonders mit den Abkömmlingen der damaligen Sklaven lebensgeschichtliche Interviews führt. Dabei soll eine Ausstellung entstehen, die in Kopenhagen und auf den Jungferninseln zu sehen sein wird – und im ehemals dänischen Flensburg.

Überhaupt wird der Ostindienhandel bei der Neugestaltung des Hauses eine entscheidende Rolle spielen. Der komplette erste Stock wird sich dieser Epoche widmen: „Auch wenn bisher keine direkte Beteiligung von Flensburger Kaufleuten am Sklavenhandel belegt werden konnte, so hat doch Flensburg vom Dreieckshandel und damit vom Sklavenhandel profitiert“, sagt Overdick.

Etwa zehn Prozent des dänischen Ostindienhandels wurden zeitweise über Flensburg abgewickelt. Die Folgen sind bis heute in der Stadt zu sehen: Im Keller des Hauses selbst gibt es eine pittoreske, kleine Schau zur Geschichte des Rums und des Zuckers, der damals in die Stadt kam und für das Erblühen einer Schnapsindustrie sorgte.

Thomas Overdick tritt ans Fenster und weist auf einen leer stehenden Backsteinbau genau gegenüber: das einstige preußische Zollamt, so wie sein Haus das einstige dänische Zollamt war. Demnächst werden er und sein Team über beide Gebäude verfügen. Das Flensburger Schifffahrtsmuseum wird dann deutlich an Fläche gewonnen haben, um seinen Bestand anders zu präsentieren. „Es ist viel Bewegung in der Szene“, sagt Overdick. 2011 ist Neueröffnung. FRANK KEIL

Flensburger Schifffahrtsmuseum, Di – So, 10 – 17 Uhr