Flüchtlinge zu Unrecht inhaftiert

Ein internes Protokoll beweist, dass Ausländerämter in NRW gegen die Richtlinien des Landes Asylbewerber in Abschiebehaft nehmen. „Das hat kein System“, sagt das Innenministerium

VON NATALIE WIESMANN

Ausländerämter in NRW sollen gegen Erlasse des Innenministeriums verstoßen haben. Dies geht aus einem internen Protokoll hervor, den der Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren“ jetzt veröffentlicht hat. „Die Ausländerbehörden tanzen dem Innenministerium auf der Nase herum“, sagt sein Vorsitzender Frank Gockel. Sie hätten die strikten Bedingungen für die Inhaftierung von Abschiebekandidaten oft ignoriert. Dadurch seien hunderte von Flüchtlingen in den vergangenen Jahren zu Unrecht inhaftiert worden.

In der Sitzung des Innenministeriums mit Vertretern der Bezirksregierungen und der zentralen Ausländerbehörden im Januar dieses Jahres wurde die Abschiebepraxis der Behörden unter die Lupe genommen: Im Protokoll wird unter mehreren kritischen Punkten vermerkt: „Die Bezirksregierungen werden die Ausländerbehörden zur strikten Anwendung der Richtlinien anhalten.“

Ein Beispiel ist der Umgang mit Opfern von Menschenhandel: Sie sollen bis zu ihrer freiwilligen Ausreise vier Wochen lang in Sicherheitshaft genommen werden dürfen. Diese Schonfrist wird von vielen Ausländerämtern oft nicht eingehalten, wird im Protokoll festgehalten. Auch bei der Inhaftierung von Minderjährigen gibt es strenge Vorschriften vom Land: Die Haft darf zunächst nur 6 Wochen betragen. Faktisch werden von den Ausländerbehörden oft Anträge auf drei Monate gestellt – und auch vom dafür zuständigen Amtsrichter akzeptiert.

Dagmar Pelzer, Sprecherin des Innenministeriums, will das Protokoll nicht so verstanden wissen. „Es gibt keine systematische Übertretung der Bestimmungen“, sagt sie. Es sei nur in Einzelfällen der Verdacht aufgekommen, dass Ausländerbehörden sich nicht an die Richtlinien hielten. Jeder mögliche Verstoß müsse jedoch einzeln geprüft werden, bisher hätte das Land noch nicht „aufsichtsbehördlich“ eingreifen müssen, so Pelzer. Wenn es da in bestimmten Punkten keinen Regelungsbedarf gebe, wären solche Treffen natürlich nicht nötig“, räumt sie dennoch ein. Für die Amtsrichter, die die Haft bewilligten, wollen Innen- und Justizministerium jetzt Informationen zusammentragen. „Auch wenn klar ist, dass wir in Richterentscheidungen nicht eingreifen können.“

Auch Gockel sieht bei den Amtsrichtern viel Informationsbedarf, sie seien mit den Entscheidungen über die Inhaftierung von Abschiebekandidaten völlig überfordert. „Deshalb bestätigen sie oft einfach nur die Anträge der Ausländerämter, die gegen die Richtlinien verstoßen“.

Gockel glaubt zwei Gründe nennen zu können, warum Menschen in Abschiebehaft landeten, die nicht abgeschoben werden können – wie Flüchtlinge, die von ihrem Land keine Passersatzpapiere erhielten. Die Menschen würden durch die Haft mürbe gemacht, damit sie freiwillig das Land verließen, glaubt er. Außerdem vermutet der Flüchtlingsvertreter hinter dieser Praxis eine Kostenverschiebung. „Wenn die Menschen in Abschiebehaft sind, müssen die Kommunen nicht mehr für ihre Unterbringung zahlen“, so Gockel. Die Kosten übernehme in dieser Zeit das Land.