Selbst Verräter lieben Popcorn

Shakespeare draußen und im Zelt geht immer: Gut geölt beim Hexenkesselhoftheater der Shakespeare Company

Kaum etwas grassiert im Theaterbetrieb so regelmäßig wie die Shakespeare-Gier. Im Sommer wird auf allem, was unter freiem Himmel steht und sich als Bühne nutzen lässt, der englische Klassiker gespielt. Keiner weiß, woran das liegt. Man mag gern glauben, dass es das Überzeitliche der Dramen ist, das nach immer neuen Inszenierungen verlangt. Doch liegt die Vermutung nahe, dass es zum guten Teil die Lust am Geschlechtertausch oder der sportliche Ehrgeiz ist, mit möglichst kleiner Besetzung auch mal die ganz großen Dramen auf die Bühne zu bringen.

Der übliche Shakespeare-Sommer-Refrain lautet also „The same procedure as every year“. In diesem Jahr kann man sich aber von zwei der etablierten Shakespeare-Ensembles Berlins einigermaßen überraschen lassen. Sie nehmen nicht nur die üblichen Kleidertausch- und Verwechselungskomödien ins Programm. Stattdessen spielt man beim Hexenkessel Hoftheater „being Othello“. So heißt das Intrigenspiel um Politik und Eifersucht nach der neuen Übersetzung durch Shakespeare-Veteran und Regisseur Jan Zimmermann. Währenddessen werden im „Hamlet!“ der Shakespeare Company die blutigen Machtkämpfe direkt in der Familie ausgetragen.

Das Publikum lässt sich von dieser vermeintlichen Ernsthaftigkeit nicht abschrecken. Im Gegenteil. In langen Schlangen warten schon eine halbe Stunde vor Beginn der Othello-Vorstellung fröhlich plaudernde Menschen im Monbijou-Park, trinken Bier aus Flaschen oder bunte Getränke mit Strohhalmen. Sie scheinen fast alle vom benachbarten Strand zu kommen. Ein Hauch von Sonnencreme liegt in der Luft. Der Sommertheaterzuschauer geht in diesem Jahr gut geölt zur Vorstellung.

Auf der Bühne riecht es dann eher nach Maschinengewehrsalven, nach Haschischdampf und nach Verrat. Fern der amerikanischen Heimat feiert ein reichlich von Zersetzungserscheinungen befallener GI-Trupp um Befehlshaber Othello (Peter Princz) in einer zum Militärcamp umfunktionierten Schule die gelungene Machtübernahme im islamisch besetzten Territorium.

Was als Sieg daherkommt, entpuppt sich schnell als Ausbruch des eigentlichen Konflikts. Als Othello anstelle des Jago (Uwe Schmieder), der sich in freudiger Erwartung der Devotionalien schon auf die Knie niedergelassen hat, den smarten Cassio (Claus Worenski) zum Leutnant befördert, setzt er unfreiwillig eine ziemlich blutige Zukunft in Gang.

Denn Jago verkalkuliert sich nicht ein zweites Mal: In martialischem Guerillalook und schwitzig-strähnigem Haar ist er nicht nur verführerischer Conférencier, er schwingt sich auch zum souveränen Strippenzieher des Geschehens auf. Lazarettschwester Desdemona (Ina Gercke), genannt Daisy, wird mit großen Lutschern gefüttert, Cassio durch alkoholisierte Getränke und Othello durch virtuose Redekünste gefügig gemacht.

Und schon funktioniert alles von selbst. Jago macht es sich mit Fernbedienung und einer Jumboportion Popcorn gemütlich und sieht mokant lächelnd dabei zu, wie Othello, mehr und mehr in Eifersuchtsschlingen verstrickt, seine große Liebe Desdemona erwürgt. Den lästigen Cassio hat Jago inzwischen von Roderigo (Christian-Joachim Friedrich) beseitigen lassen.

Das siebenköpfige Ensemble um Regisseur Zimmermann setzt auf wohl dosierte Aktualisierung der Handlung. Dazu eine Portion Entertainment, Rockmusik und Lichtdesign – das lässt sich das Sommerpublikum gern gefallen. Mit so viel bühnentechnischer Opulenz will „Hamlet!“ nicht konkurrieren.

Wer es puristischer liebt, geht deshalb ins Zelt am Ostbahnhof, wo die Shakespeare Company mit Regisseur Thomas Weber-Schallauer sich enger an die Gepflogenheiten des elisabethanischen Theaters hält. Auf karger Bühne illustrieren nur ein paar multifunktionale Holzwürfel Hamlets Aufklärung eines Komplotts, das seinen Vater um Leben und Thron gebracht hat. Und während die Zuschauer unter der Zeltplane schon im Sitzen schwitzen, legt sich das Ensemble kräftig ins Zeug. Sämtliche akrobatischen und musikalischen Register werden gezogen, die Rollen wie die Kostüme gewechselt.

Und in guter Tradition steht auch, dass immer wieder das Publikum ins Spiel einbezogen wird, was dieses sichtlich freut. Shakespeare im Sommer, das bedeutet also in diesem Jahr durchaus Abwechslung. Die Bandbreite reicht von der reinen Lust am Spiel bis zum Willen um politische Aktualisierung. Die Unterhaltung jedenfalls kommt nicht zu kurz.

Natürlich kann man trotzdem stöhnen: Schon wieder Shakespeare! Oder man sagt einfach: Wenn es euch gefällt!? Wie auch immer – hinterher kann man ja immer noch an den Strand gehen und die Füße in der Spree baumeln lassen.

WIEBKE POROMBKA

„being Othello“ im Hexenkessel Hoftheater, Monbijouplatz, Di.–Sa., jeweils 21.30 Uhr. Ab 24. Juli „Viel Lärm um nichts.“ „Hamlet!“ im Shake! das Zelt am Ostbahnhof, 20., 21., 23., 27., und 28. Juli, 20 Uhr.