: Ein-Mann-Gelbe-Wand
Nach dem Spiel ist vor dem DFB-Pokal: Das 3:2 gegen Leipzig gibt Dortmund viel Selbstvertrauen für das Finale und die Hoffnung, dass Haaland bleibt
Aus Dortmund Daniel Theweleit
Dass Erling Haaland über ein außergewöhnliches Torjägertalent verfügt, ist kein Geheimnis mehr in der Welt des Fußballs, wo mancher Experte dem Norweger eine Karriere als Weltstar vorhersagt. Am Samstag, beim abenteuerlichen 3:2-Sieg von Borussia Dortmund gegen RB Leipzig, trat der Stürmer allerdings in einer ganz anderen Rolle in Erscheinung, er diente als Seismograf für das Befinden des um die Champions-League-Qualifikation kämpfenden BVB.
Haaland konnte aufgrund seiner zwei Wochen zuvor erlittenen Oberschenkelblessur immer noch nicht spielen und saß auf der Tribüne. Dort kommentierte er das Geschehen mal mit Gesten großer Anerkennung, mal litt er unter Fehlern und Gegentreffern, immer jedoch waren seine Reaktionen von großer Leidenschaft gezeichnet. Am Ende bejubelte er ein spätes und sehr kostbares Siegtor von Jadon Sancho. „Ein überragendes Tor, Fußball vom Feinsten“, schwärmte Sportdirektor Michael Zorc.
Vor der Pandemie wäre eine explodierende Gelbe Wand in diesem Moment zu einem zentralen Motiv des Tages geworden; diese Rolle übernahm nun Haaland, der mit dem gesperrten Kollegen Jude Bellingham feierte. In gewisser Weise hatten die Bilder sogar eine größere Symbolkraft als eine vor Glück herumhüpfende Menschenmasse. Denn Haaland stand zuletzt unter Verdacht, trotz gültigen Vertrages schon zur neuen Saison den Verein wechseln zu wollen, und final beantwortet ist die Frage nach seinen Plänen auch jetzt noch nicht. Sein Jubel, den er nach der Partie unten auf dem Rasen fortsetzte, deutet nun schon auf eine große Identifikation mit dem Dortmunder Projekt hin. Zumal der BVB nach etlichen Krisenphasen im Saisonverlauf konstant wie eine Mannschaft auftritt, in der sich ein Großtalent wie Haaland gut aufgehoben fühlen kann. Innerhalb der Mannschaft sei „etwas entstanden“, sagte Trainer Edin Terzic nach dem fünften Bundesligasieg in Folge.
Die Reaktionen von Haaland und Bellingham zeigen, dass der BVB sich „als Gruppe sehr gut gefunden“ habe, erklärte Terzic. Womöglich liegt genau an dieser Stelle ein entscheidender Unterschied zu RB Leipzig, wo eher etwas zu Ende geht mit dem Wechsel von Trainer Julian Nagelsmann und Abwehrchef Dayot Upamecano nach München und möglicherweise weiteren Abgängen. Das kann wichtig werden, weil diese beiden Teams im Pokalfinale am kommenden Donnerstag erneut gegeneinander antreten. An diesem Tag war der BVB bis auf 20 Minuten in der zweiten Halbzeit die Mannschaft, die geschlossener arbeitete, die mit mehr Hingabe spielte, und die eines dieser schwarz-gelben Dramen schuf, für das dieser Verein von vielen Fans geliebt wird.
Sportdirektor Michael Zorc sprach von einem „turbulenten Spiel“, in dem Dortmund nach schönen Toren von Marco Reus (7.) und Sancho (51) 2:0 geführt hatte, bevor Lukas Klostermann (63.) und Dani Olmo (77.) zwei Leipziger Treffer folgen ließen. Dass Sancho kurz vor dem Ende noch das Siegtor gelang, „schweißt zusammen, da können wir ganz viel Selbstvertrauen und ganz viel Mut mitnehmen“, sagte Terzic auch in Anspielung auf das Pokalfinale. Dieses Vorspiel in der Bundesliga werde „das Gefühl für den Donnerstag“ beeinflussen, hatte Nagelsmann in der vorigen Woche erklärt, nun haben die Dortmunder sich auf dieser Ebene eindeutig einen kleinen Vorteil erarbeitet.
Für RB ging es nicht mehr um viel, niemand kann sich vorstellen, dass die Mannschaft mit zwei weiteren Niederlagen in der Bundesliga (gegen Wolfsburg und bei Union Berlin) noch aus den Champions-League-Rängen stürzt – was theoretisch möglich wäre. Der Misserfolg von Dortmund wird den meisten Spielern keine großen Sorgen bereiten, aber BVB nimmt einen weiteren Euphorie- und Selbstvertrauensschub mit auf die Reise nach Berlin. Es läuft bei den Dortmundern.
Die Flüssigkeit in Haalands Oberschenkel werde „immer weniger“, sagte Terzic, wahrscheinlich wird der Stürmer ebenso zurückkommen wie der formstarke Bellingham, der in der Bundesliga gesperrt war. Zudem spielen Reus und Sancho in großartiger Form. Auch weil sie wieder sehr aufmerksam und engagiert „gegen den Ball gearbeitet“ haben, wie Emre Can anmerkte. Das wird auch Bundestrainer Joachim Löw auf der Tribüne aufgefallen sein, der einen großartigen Reus gesehen hatte – und einen ungewöhnlich schwachen Mats Hummels, der vor beiden Gegentreffern Zweikämpfe verlor. Aber das war allenfalls ein Randaspekt an einem Tag, an dessen Ende Zorc sagen konnte: „Wir sind weiter dabei.“ Diese Erkenntnis ist nicht nur schön für die Dortmunder, sondern für die gesamte Bundesliga, der ein hoch spannender Kampf um die Champions-League-Plätze bevorsteht.
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