Chirac auf der Suche nach dem Positiven

Während seiner ganzen Amtszeit war Frankreichs Staatspräsident nie so unbeliebt. In seiner Rede zum Nationalfeiertag fordert er die Bevölkerung auf, die Stärken des Landes zu erkennen. Auch dem EU-Referendum kann er noch etwas abgewinnen

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Alles ins Positive wenden: Das versuchte Jacques Chirac gestern in Paris am Nationalfeiertag. Es war der elfte 14. Juli seiner Amtszeit – und der schwierigste. Der Staatspräsident war nie zuvor im Land so unpopulär, nie auch in seinem eigenen politischen Lager so isoliert. Zuletzt hat er am 29. Mai das Referendum über die EU-Verfassung verloren, Paris hat die Olympischen Spiele für das Jahr 2012 an London verloren, die Arbeitslosigkeit liegt anhaltend bei 10 Prozent, das Wirtschaftswachstum will den euphorischen Ankündigungen der Regierung nicht folgen, und sein rechter Gegenspieler Nicolas Sarkozy tanzt ihm bei jeder Gelegenheit auf der Nase herum. Auch gestern. Da organisierte der UMP-Chef und Innenminister direkt nach dem Militärdefilée in der Pariser Innenstadt und gleichzeitig mit dem Empfang beim Staatspräsidenten einen in seinem eigenen Ministerium.

Chirac forderte seine Landsleute in dem von mehreren TV-Sendern übertragenen Interview mehrfach auf, die Stärken Frankreichs zu erkennen. „Unsere Arbeitslosigkeit ist höher als in Großbritannien“, gab Chirac zu, und versprach wie jedes Jahr zu diesem Datum, dass etwas dagegen unternommen werde, „aber in vielen anderen Bereichen sind wir besser“. Unter anderem zählte er Schulbildung, Gesundheitsversorgung und Armut auf. Großbritannien sei für Frankreich kein Modell, erklärte er.

Auch das ist eine Absage an Sarkozy, der immer häufiger Frankreich mit den angelsächsischen Ländern vergleicht und deren Politik – von der Einwanderungspolitik über die „positive Diskriminierung“ bis hin zum Arbeitsrecht – als nachahmenswert bezeichnet. Zu den Stärken Frankreichs zählt Chirac auch die Landwirtschaft und seine „Zukunftsindustrien“.

Auch das Non beim EU-Referendum wendet Chirac ins Positive. Er lobte das „außerordentlich hohe Niveau“ in der Debatte über die EU-Verfassung. Und versicherte, daraus folge keineswegs eine internationale Isolierung Frankreichs. Als Konsequenz aus dem Referendum sagte er zu, sich in der EU dafür einzusetzen, dass die Dienstleistungsrichtlinie und die Richtlinie über die Arbeitszeit nicht in Kraft treten. Er kündigte an, dass er nicht die geringsten Zugeständnisse im Landwirtschaftsbudget machen werde. Trotz des negativen Ausgangs bereut Chirac das Referendum nicht. Im Gegenteil: Er schlägt vor, häufiger Referenden über „große Fragen“ zu veranstalten. In einer großen Frage, die schon jetzt den inneren Pariser Polit-Zirkel bewegt, gab Chirac keine Antwort. Der 72-Jährige ließ offen, ob er im Jahr 2007 noch einmal – ein drittes Mal – kandidieren werde.