STREITGESPRÄCH IM REGEN
: Warum, Gott?

Das ist der Unterschied zwischen Neukölln und Prenzlauer Berg

Samstagnacht, 2.30 Uhr. Es blitzt und donnert und regnet cats and dogs, wie der Engländer sagen würde. An Schlaf ist nicht mehr zu denken. Ich beschließe, noch ein Bier auf meinem Balkon zu trinken.

Das Gewitter will kein Ende nehmen. Wetterleuchten allerorts und prasselnde Regentropfen, die auf dem Asphalt zerplatzen. Unten auf der Straße nur ab und zu ein durchnässter Fahrradfahrer oder ein einsamer Passant mit oder ohne Regenschirm. Dann höre ich jemanden lauthals schreien und fluchen. Ein Mann um die Mitte 40 kommt näher. Er trägt ein schwarzes Jackett, weißes Hemd, keine Krawatte – seine Klamotten und Haare sind klatschnass.

Er führt ein Streitgespräch mit Gott. Bei jedem Donnerschlag reckt der Mann seine geballte Faust gen Himmel und schreit: Mich beeindruckst du Arschloch schon lange nicht mehr. Du hast mein Leben ruiniert, du Schwein. Mach doch lauter, ja Blitz und Donner, du Drecksau, du verfluchtes Arschloch. Glaubst du etwa, dass mir das Angst macht, glaubst du etwa, dass mich das beeindruckt? Du bist ein hinterhältiges und hinterfotziges Schwein! Warum hast du mein Leben ruiniert?

Ich beobachte den Mann: Sein Schmerz scheint sich herztief in ihn hineingefressen zu haben. Er tut mir leid. Irgendwann verhallt sein Schreien im Gewittergrollen.

Am Montag habe ich mit einem Kollegen über das Unwetter gesprochen. Auch er saß auf seinem Balkon mit einer Flasche Bier. Bei ihm tanzten jedoch junge spanische und italienische Touristengruppen fröhlich durch den Regen. Ich erzählte ihm die Geschichte von dem schreienden Mann, und er sagte: Siehst du, das ist der Unterschied zwischen Neukölln und Prenzlauer Berg. Während bei mir junge Menschen durch den Regen tanzen, schreien bei dir verzweifelte Familienväter einsam in der Nacht. ALEM GRABOVAC