Der Schulversager ist aufgewacht

Die Hauptstadt schneidet im Ländervergleich schlecht ab. Das liegt an der Sozialstruktur der Stadt, aber auch an fehlenden Reformen in der Vergangenheit. Inzwischen hat sich Berlin auf den Weg gemacht

BERLIN taz ■ Überrascht war Berlins Bildungssenator Klaus Böger nicht. Schon am Montag, als dem SPD-Politiker die Ergebnisse noch gar nicht vorlagen, ließ er verbreiten, Berlin werde sich beim bundesweiten Schülerleistungsvergleich Pisa-E wohl im hinteren Feld wiederfinden. Und natürlich hat Böger Recht behalten: Beim Ranking der 16 Bundesländer, das die Kultusministerkonferenz (KMK) gestern offiziell vorstellte, landete Berlin im Bereich Mathematik auf dem 13. Platz, bei der Lesekompetenz auf Rang 11.

Immerhin haben es die Berliner SchülerInnen dieses Mal überhaupt ins Pisa-Ranking geschafft. Beim ersten Bundesländervergleich war die Beteiligung der ausgewählten Hauptstadt-SchülerInnen so schlecht, dass Böger ebenso wie sein Hamburger Kollege die Teilnahme absagen musste.

Vergleichsdaten von Pisa 2000 also hatte Berlins Bildungssenator nicht. Doch ohnehin war klar: Eine Stadt mit so vielen armen und eingewanderten Familien, mit so vielen Schulden und so wenig Wirtschaftskraft schneidet beim Ranking schlecht ab. Solche Rahmendaten, das haben viele Studien bereits gezeigt, sind hierzulande eben wichtig für den schulischen Erfolg oder Misserfolg. Wie groß er bei den neuen Untersuchungen ist, hat die KMK noch nicht detailliert vorgestellt. Das soll erst im Herbst der Fall sein, wenn die Gesamtstudie präsentiert wird.

Wie die anderen Bundesländer auch, hat Berlin jahrzehntelang bildungspolitische Neuerungen verschlafen. Inzwischen aber hat sich die Hauptstadt auf den Weg gemacht. Als erstes Bundesland hat das rot-rot regierte Berlin „nach Pisa“ ein neues Schulgesetz verabschiedet, das viele durchaus sinnvolle Reformen festschreibt. Doch bis sich diese flächendeckend in Schulen und Kitas niederschlagen, wird es Jahre dauern. Und bis sie in die Pisa-Studie einfließen, die alle drei Jahre die Leistungen der 15-Jährigen untersucht, noch viel länger.

Vor allem die Grundschule haben sich die rot-roten Bildungspolitiker vorgenommen, viele Reformen werden nach den Sommerferien erstmals umgesetzt. Das Problem dabei: Die Verwaltung von Bildungssenator Böger hat die Umsetzung der Reformen schlecht vorbereitet und der Senat dafür nicht genug Geld zur Verfügung gestellt. Das hat Eltern und Lehrer gegen die Neuerungen aufgebracht.

So will Böger die Ganztagsgrundschulen in der Hauptstadt ausbauen. Das fördert nicht nur die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, sondern macht auch bildungspolitisch Sinn: Besonders Kinder aus so genannten bildungsfernen Familien können von mehr Zeit in der Schule profitieren. Weil das notorisch klamme Berlin nun aber nicht genug Geld dafür hat, alle Kinder künftig kostenlos von 8 bis 16 Uhr zu betreuen, hat sich Böger einen Zwischenschritt ausgedacht: Für die Nachmittagsbetreuung, die bisher in Horten und Schülerläden stattgefunden hat, sind künftig die Schulen zuständig. Im Ostteil der Stadt ist das bereits der Fall, im Westteil aber werden derzeit 33.000 Betreuungsplätze verlagert. Nach den Sommerferien soll es losgehen, doch in manchen Schulen haben die notwendigen Bauarbeiten noch gar nicht begonnen, wissen die SchulleiterInnen nicht, wie viel und welches Personal sie künftig zur Verfügung haben. Für die Entwicklung pädagogischer Konzepte blieb bisher keine Zeit, kritisiert denn auch die Vorsitzende des Berliner Grundschulverbands, Inge Hirschmann.

Auch die Einführung der flexiblen Schulanfangsphase ist eigentlich eine gute Idee. Diese Phase können die Kinder in ein, zwei oder drei Jahren durchlaufen – je nach individuellen Fähigkeiten; danach kommen sie in die dritte Klasse. Im jahrgangsübergreifenden Unterricht, der für die meisten LehrerInnen Neuland ist, sollen die Kinder individuell gefördert werden. Schulen, die dieses Konzept erprobt haben, sind überzeugt. Mit Bögers Reform aber haben sie ein Problem: die Personalausstattung. Denn während in der Erprobung stets zwei PädagogInnen in der Klasse waren, meist eine Lehrerin und eine entsprechend fortgebildete ErzieherIn, soll es künftig nur noch die Klassenlehrerin sein. „Allein kann ich doch nicht 25 Kinder da abholen, wo sie gerade stehen“, sagt eine gestandene Grundschullehrerin. Sie befürchtet nun, dass genau das auf der Strecke bleibt, was so dringend gestärkt werden muss: die individuelle Förderung. SABINE AM ORDE