„Nur auf dem Papier“

VORTRAG Eine Moskauer Oppositionelle spricht über die Bürgerproteste und die russische Gesellschaft

■ 55, Philosophin, lehrt an der Uni Bremen und der Moskauer RGGU und ist in der Oppositionspartei „Jabloko“ aktiv.

taz: Frau Michaleva, wie gefährlich ist es, in Russland zu demonstrieren?

Je nachdem, wie viel Glück Sie haben. Ich habe Mahnwachen vor der Duma abgehalten und wurde auch einige Male verhaftet. Die Gesetze sind so, dass die Polizei Sie jederzeit verhaften kann, auch ohne wichtige Gründe.

Was sind Ihre Anliegen?

Die Versprechen der Liberalisierung waren leere Worte. Es gibt viele Änderungen von Gesetzen, die die letzten Freiheiten schrumpfen lassen: Sie dürfen nicht mehr ohne Erlaubnis auf der Straße protestieren. Das Wahl- und das Parteiengesetz haben eine Form, die der Opposition nicht mehr erlaubt, mit Erfolg an den Wahlen teilzunehmen. Das Gesetz über die Verleumdung wurde wieder eingeführt, mit großen Geldstrafen. Das bedeutet, dass die Arbeit von Journalisten unmöglich wird, wenn sie etwas gegen die Duma sagen.

Ist das noch eine Demokratie?

Vergessen Sie das. Russland ist ein autoritärer Staat. Die demokratischen Institutionen haben wir nur auf dem Papier. Wir haben keine Pressefreiheit, keine unabhängigen Gerichte, keine freien Wahlen. Es gibt Durchsuchungen bei Oppositionellen, Verhaftungen, manche müssen emigrieren.

Wie wird es weitergehen?

Die Gesellschaft ist offener, es gibt eine neue Generation, die im Internet surft und Auslands-Erfahrungen hat. Es ist jetzt klar, dass Putin hart bleibt und keinen Schritt in Richtung der Bürger geht. Aber auf Dauer funktioniert das nicht. Alle erwarten, dass es im Herbst wieder zu Protesten kommt.  INTERVIEW: JPB

Sa, 11 Uhr, Haus der Wissenschaft