Das Netz der Bomben

AUS LEEDS RALF SOTSCHECK

Es gab einen fünften Mann. Die Londoner Polizei hat gestern bekannt gegeben, dass die vier Attentäter, die am 7. Juli drei Bomben in der Londoner U-Bahn und eine im Bus zündeten, vor den Anschlägen mit einem weiteren Mann gesehen worden waren. Das habe die Auswertung von 2.000 Überwachungsmitschnitten ergeben.

Es ist nicht bekannt, ob der Mann ein weiterer Selbstmordattentäter war und es sich in letzter Sekunde anders überlegte, oder ob es sich bei ihm um einen der Organisatoren der Anschläge handelt. Weiteren Presseberichten zufolge hat Scotland Yard zudem einen aus Ägypten stammenden Chemiker im Visier, der als zweiter Hintermann fungiert und beim Bau der Bomben geholfen haben soll. „Es gibt eine Reihe von Individuen, die wir suchen“, sagte ein Sprecher von Scotland Yard nur.

Die Ermittlungen konzentrieren sich zur Zeit auf Luton, wo zwei Autos der Terroristen gefunden wurden, sowie auf Aylesbury bei London, wo gestern ein Haus durchsucht wurde. Ein 29-Jähriger, der Anfang der Woche in Leeds verhaftet wurde, wird noch immer im Londoner Hochsicherheits-Polizeirevier Paddington Green vernommen. Das Boulevardblatt Mirror behauptete gestern, das „Mastermind“ hinter den Anschlägen zu kennen, verriet seinen Namen aber nicht.

Drahtzieher auch Brite?

Es handle sich um einen britischen Staatsbürger, der einen Monat vor den Anschlägen in eine winzige Sozialbauwohnung in Leeds gezogen und seit Donnerstag voriger Woche verschwunden sei, schrieb das Blatt.

Diese Wohnung in Alexandra Grove sei von dem Iraker Samir al-Ani gemietet worden, der vor einem Monat nach Bagdad zurückkehrte und die Schlüssel bei seinem Onkel, einem Facharzt am Krankenhaus von Leeds, hinterließ. Der übergab sie dem 33-jährigen ägyptischen Chemiker Magdy Elnashar, der kürzlich an der Universität Leeds promovierte und jetzt wieder in Ägypten lebt.

Die Polizei bestätigte, dass sie den Studenten gerne vernehmen würde. Die in London benutzten Bomben seien höchstwahrscheinlich in der betreffenden Wohnung in Leeds gebaut worden, behauptet der Mirror. Der Sprengstoff, der dabei benutzt wurde, ist qualitativ hochwertige Ware aus Militärbeständen, die nach Angaben der Polizei vom Balkan stammt.

Die Ermittler kamen der „Bombenfabrik“ auf die Spur, weil Hasib Hussain, der den Bus der Linie 30 sprengte, die Telefonnummer des Facharztes gespeichert hatte. „Ich bin entsetzt“, sagte der. „Ich will auch nicht entfernt mit diesen Sachen in Verbindung gebracht werden.“ Hussain, so glaubt die Polizei, wollte ursprünglich ebenfalls eine U-Bahn sprengen, und zwar in nördlicher Richtung von King's Cross. Die anderen drei hatten Züge in westlicher, östlicher und südlicher Richtung gewählt. Offenbar wollten sie „ein brennendes Kreuz ins Herz Londons“ pflanzen, wie es in einem Bekennerschreiben von „al-Qaida in Europa“ hieß.

Hussain musste seine Pläne jedoch ändern, weil die Northern Line aufgrund eines technischen Problems ausgefallen war. Pakistans Innenminister Aftab Khan Sherpao sagte, die Attentate seien ursprünglich für den britischen Wahlkampf im Mai geplant gewesen, konnten jedoch vereitelt werden.

Schweigen in Europa

„Die Terroranschläge sind verhindert worden aufgrund von Informationen, die die pakistanische Regierung geliefert hat“, sagte Sherpao. „Mehrere Leute wurden damals in Pakistan und in anderen Ländern verhaftet.“ Die britische Regierung erklärte gestern, Sherpaos Äußerungen seien übertrieben.

Gestern Mittag legten Großbritannien und Europa zwei Schweigeminuten ein. Busse, Züge und Taxis stoppten, selbst die Londoner Börse schloss für zwei Minuten. Auch auf dem Frankfurter Parkett wurde der Handel kurzzeitig ausgesetzt. In Frankreich wurden zahlreiche Feiern zum Nationalfeiertag für Minuten unterbrochen.