die woche in berlin
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Der Bund tritt auf die Notbremse und Berlin muss mitmachen. Die rot-rot-grüne Landesregierung will mit einem Lobbyregister für mehr Transparenz sorgen. Und der Darlehenstopf für Mietnachzahlungen nach dem Aus für den Berliner Mietendeckel ist beschlossene Sache

Eher Stop-and-go als eine Vollbremsung

Berlin muss die Corona­notbremse umsetzen

Das wird eine ziemlich lange Bremsspur werden – falls die Coronanotbremse, die der Bund am Mittwoch beschlossen hat, denn überhaupt eine Spur im Berliner Infektionsgeschehen hinterlassen wird. Der politische Impuls, die unübersichtlichen Regelwerke in den Ländern zu vereinheitlichen, mag noch nachvollziehbar sein. Den praktischen Nutzen vor allem der umstrittensten Regelung – der Ausgangssperre zwischen 22 und 5 Uhr, wenn drei Tage lang eine Inzidenz von 100 überschritten wird – darf man aber mit Recht bezweifeln.

Die vermeintlich harte „Sperrstunde“ sieht nämlich durchaus Ausnahmen vor, etwa wenn der Hund rausmuss. Joggen darf man auch bis um 24 Uhr. Effektiv kontrollieren kann so etwas niemand. Und eine solche Ausgangssperre könnte das Infektionsgeschehen sogar beschleunigen – wenn sich die Menschen dann eben erst recht drinnen statt draußen an der frischen Luft treffen, weil das schließlich noch weniger zu kontrollieren ist.

Ebenfalls nicht ganz einsichtig: Gerade mal fünf Tage muss die Inzidenz wieder unter dem Schwellenwert von 100 liegen, dann werden die Maßnahmen erneut gelockert. Klingt also danach, als stünde uns bis zum versprochenen flächendeckenden Impfangebot im Sommer eher ein Stop-and-go bevor als eine Vollbremsung.

Was die Notbremse für die Schulen angeht – sie müssen bei einer Inzidenz von 165 schließen – haben die KritikerInnen Recht, die sagen: Bei so einer pauschalen Notbremse bleibt kein Raum mehr für Abwägung. Den sollte es aber gerade beim Kinderschutz geben. In sensiblen Bereichen muss es möglich sein, differenzierter als stur auf den Inzidenzwert zu starren: auf die Auslastung der Intensivbetten, die Testkapazitäten, auf den Fortschritt bei den Impfungen, zum Beispiel bei den LehrerInnen. Mal ganz davon abgesehen, dass ein Stop-and-go bis zu den Sommerferien Eltern, Schulleitungen wie Kinder einigermaßen in den Wahnsinn treiben dürfte.

Ist das ein Plädoyer für einen harten Shutdown? Nein. Man sollte nur nicht all zu viel Hoffnungen in diese Notbremse setzen, die keine ist. Die Bremse ist lediglich der etwas verzweifelte Versuch, Handlungsmacht zu demonstrieren. Wohlgemerkt, da, wo handeln weh tut, gegen die Lobby von Arbeitgebern und Einzelhandel, passiert weiter nichts: Ab einer Inzidenz von 100 darf man zwar nachts ab 22 Uhr nicht mehr raus – aber am nächsten Morgen mit negativem Test noch shoppen gehen. Die Shutdown-Grenze für den Einzelhandel liegt erst bei 150. Und die Testpflicht für Betriebe wird wohl nicht mehr kommen, zumindest in dieser Pandemie.

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) zeigte sich übrigens auch nicht überzeugt bei der abschließenden Debatte im Bundesrat am Donnerstag. Die Akzeptanz bei den BerlinerInnen für die neuen Maßnahmen dürfte es nicht erhöhen, wenn nicht mal das Regierungsoberhaupt überzeugt davon ist, was Berlin jetzt mit umsetzen muss. Und zum Wochenende lag die Inzidenz bei 150. Es könnte also ziemlich schnell losgehen. Anna Klöpper

das war’s

Endlich wird klar, wer der Politik hilft

Rot-Rot-Grün bringt ein Lobbyregister auf den Weg

Lobbyisten sind für viele fast schon das personifizierte Böse. Es handelt sich um Menschen, die bei Po­li­ti­ke­r*in­nen vorstellig werden, bestimmte Interessen verfolgen und dafür (oft ziemlich gut) bezahlt werden. Ein typischer Satz über ihre (Un-)Taten in einer Zeitung lautet etwa: „Doch einflussreiche Lobbyisten haben X verhindert.“ Für das X ließe sich etwa „mehr Mieter*innenschutz“ oder „nachhaltigere Coronamaßnahmen“ einsetzen. Gerade stand etwa Karl-Theodor zu Guttenberg im Wirecard-Untersuchungsausschuss in der Kritik. Der ehemalige Verteidigungsminister ist seit seiner Plagiatsaffäre auch als Lobbyist tätig.

In Berlin soll Einflussnahme künftig transparenter sein. Der am Donnerstag von der rot-rot-grünen Koalition eingebrachte Gesetzentwurf für ein Lobbyregister dürfte damit auch das bisher rein negative Bild von Lobbyismus verändern. In dem Register soll festgehalten werden, wer in welcher Form auf ein Gesetz Einfluss nehmen will. Dafür sollen alle schriftlichen Stellungnahmen, Gutachten, Vorschläge und auch E-Mails von juristischen Personen und Verbänden festgehalten und für alle einsehbar veröffentlicht werden.

Diese Transparenz ist notwendig, denn wie so vieles wird auch die Entwicklung von Gesetzen immer komplexer. Die neuen Einblicke sind sinnvoll, weil sie einem häufigen Vorwurf entgegenwirken können: Po­li­ti­ke­r*in­nen seien käuflich oder setzten sich zumindest nicht für die Interessen der „einfachen Bürger*innen“ ein, sondern nur für jene, die besonders mächtig sind. Denn künftig soll sogar schon während eines Gesetzgebungsverfahrens offengelegt werden, wer hier lobbyiert.

Diese Transparenz dürfte die Arbeit der Po­li­ti­ke­r*in­nen verändern, aber vor allem die der Interessenvertreter*innen. Und vielleicht sogar deren Bild in der Öffentlichkeit: Denn nicht alle Lobbyisten sind klandestin auftretende Kofferträger in dunklen Anzügen. Die Positionen von Verbänden, Vereinen, betroffenen Unternehmen und auch Ex­per­t*in­nen wie Wis­sen­schaft­le­r*in­nen anzuhören, sind fester Teil des Gesetzgebungsprozesses.

Damit am Ende aber nicht nur große Datenberge entstehen, die nur für Investigativjour­na­lis­ten*­in­nen interessant sind, sollte der Parlamentspräsident mit dem Lobbyregister nicht nur ein gutes Onlineportal schaffen, sondern auch aktiv Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Mit transparenten Gesetzgebungsverfahren könnte man etwa an Schulen konkret vermitteln, wie parlamentarische Prozesse funktionieren. Starten könnte man gleich mit dem Gesetzgebungsprozess für das Lobbyregister selbst.

Bert Schulz

Das macht eine Gesellschaft menschlich

Mietendeckel: Hilfe für Mietnachzahlung beschlossen

Ginge es nach dem Aus für den Mietendeckel um pure Logik und Eigenverantwortung, dann könnte sich der rot-rot-grüne Senat die am Dienstag beschlossene, vorerst 10 Millionen Euro schwere „Sicher-wohnen-Hilfe“ sparen. Diese Darlehen – aus denen auch rückzahlungsfreie Zuschüsse werden können –, wären nämlich nicht nötig, wenn alle, die nun die geminderte Miete nachzahlen müssen, sich an die Mahnung von Senat und Mieterschützern gehalten hätten: Das eingesparte Geld vorerst auf keinen Fall ausgeben, sondern bis zu einer abschließenden Klärung am Verfassungsgericht auf die Seite legen.

Opposition und sonstige Kritiker liegen nämlich falsch, wenn sie dem Senat vorhalten, er habe die Mieter in die Irre geführt und sei deshalb in der Pflicht zu helfen. Denn mantramäßig haben Koalitionspolitiker wiederholt, man betrete mit dem Mietendeckel juristisches Neuland, man könne nichts garantieren und man solle deshalb vorsorgen.

Das haben nach Schätzung des Senats aber so viele Haushalte nicht getan, dass nun nach selbiger Schätzung rund 40.000 Mieter Probleme haben, die geminderte Miete zurückzahlen. Laut Bausenator Sebastian Scheel von der Linkspartei liegt das daran, dass mancher zwar nicht wohngeldberechtigt ist, sich aber die Miete „vom Kühlschrank abgespart und den nun wieder gefüllt hatte“. Fällig soll diese Nachzahlung auch ohne besondere Aufforderung bereits mit der Maimiete sein, auch wenn das Urteil des Bundesverfassungsgerichts erst neun Tage alt ist.

In einem marktradikalen Land, im oft zitierten Manchesterkapitalismus, würde nun gelten: selbst schuld, dann seht mal zu, wie ihr aus der Misere wieder rauskommt. Und natürlich wirkt das Ganze auch ein bisschen ungerecht: Wer sich an die Sparmahnung gehalten hat, sich nicht, um in Scheels Bild zu bleiben, den Kühlschrank gefüllt hat und nun aus eigener Kraft nachzahlen kann, mag sich fragen, warum andere fürs Geldausgeben auch noch belohnt werden.

Dieser Konflikt ist uralt: Schon in der Bibel, im Gleichnis vom verlorenen Sohn, fragt sich der daheimgebliebene arbeitsame Sohn, warum der Vater seinem verarmt heimkehrenden Bruder, der sich abgewandt und alles verprasst hat, nun auch noch ein Festmahl bereitet, während er nie auch nur eine kleine Feier spendiert bekam.

Gute Sozialpolitik aber fragt nicht nach Schuld. Hilfsleistungen, Wohngeld, diverse sonstige Unterstützungsleistungen bekommt grundsätzlich nicht nur, wer unverschuldet und nur aus Pech und ungünstiger Umstände wegen Hilfe braucht. Einschränkungen gibt es, aber eher geringe – etwa dass jemand, der ohne wichtigen Grund seinen Job kündigt, erst nach drei Monaten Arbeitslosengeld bekommt. Ob einer in der Schule oder in der Ausbildung fleißig war oder nicht, und wie weit jemand sein Schicksal in der Hand hatte, ist nachrangig.

Das Ganze ist ja auch alternativlos, wenn man Menschen nicht dem Untergang preisgeben will. Es zeichnet eine menschliche Gesellschaft aus, bedingungslos zu helfen. Ein großes Wort dafür ist Nächstenliebe oder Barmherzigkeit. Welche Stadt könnte das mehr beherzigen als die, in der diese Haltung mit ihrem französischen Namen – Charité – seit fast 300 Jahren mittendrin fest in Stein gemauert ist. Stefan Alberti

Gute Sozialpolitik aber fragt nicht nach Schuld

Stefan Alberti über die sogenannte Sicher-wohnen-Hilfe des Senats, die bei Mietnachzahlungsproblemen nach dem Mietendeckel-Urteil mit Darlehen aushilft