BERLIN–DRESDEN
: Schikanös

„Ein Kind“, sagt sie, „muss ein menschliches Wesen sein“

Vom Gefühl her liegt Dresden fast in Berlin. Man ist jedenfalls mit dem Eurocity schnell da, in zwei Stunden. Eurocityzüge sind viel schöner als ICEs oder ICs, weil sie oft nicht deutsch sind. Ich möchte gar nicht rassistisch sein, aber die deutschen sind einfach die hässlichsten. Vielleicht denke ich das, weil ich an sie gewöhnt bin. Man will immer das, was man nicht hat. Heute ist der Zug ungarisch und sieht aus wie ein Oma-Wohnzimmer mit flauschigen Sitzen in Dunkelgelb und Lila und einer Art Stuck an der Decke. So ein Zug fühlt sich gleich viel mehr nach Reise an.

Im Vierer nebenan sitzt ein Paar. Die haben einen schwarzen, puscheligen Hund dabei, der auf dem Boden schläft. Daneben sitzen zwei Frauen, denen alle paar Minuten auffällt, dass der Hund voll süß ist. Die Kontrolleurin kommt, und das Paar muss nachzahlen, weil der Mann seine Bahncard vergessen hat. Die Kontrolleurin sagt, er kriegt das Geld wieder, wenn er am Schalter seine Bahncard zeigt. „Und wo ich gerade den Hund sehe, zu wem gehört der denn?“, fragt sie. „Zu mir“, sagt der Mann. „Der braucht auch eine Fahrkarte“, sagt sie. „Hat er doch, auf meinem Ticket steht ein Kind mit drauf“, sagt der Mann. „Nee“, sagt die Frau, „der braucht einen Hundefahrschein. Ein Kind muss ein menschliches Wesen sein.“ Der ganze Waggon hört zu. Hinten sagt jemand: „Das ist doch schikanös.“ Der Mann sagt, man kann am Automaten nur Kindertickets kaufen. Die Kontrolleurin sagt, das stimmt nicht. Der Mann sagt, doch, ich gehe mich beschweren, ich muss ja eh zum Schalter. Die Kontrolleurin sagt, ja, machen Sie ruhig. Wenn sie jetzt plötzlich ohnmächtig umfallen würde, ich schwöre, niemand würde ihr helfen.

Dann sagt der Zugführer: „Wir werden Elsterwerda voraussichtlich um dreizehn Uhr ölf erreichen.“ „Ölf“, macht jemand ihn nach, und alle lachen. Außer der Kontrolleurin.

MARGARETE STOKOWSKI